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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

DOI issue:
Heft 20 (2. Juliheft 1914)
DOI article:
Cauer, Paul: Aus der Schule der Griechen, [2]: homerische Gleichnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0126

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Aus der Schule der Griechen

2. Homerische Gleichniffe

^M^enken wir an die Bedeutung des Gleichnisses im Neuen Testament
^-D^oder in Dantes Göttlicher Komödie) und wenden uns dann zu Homer;

durch die Kunst ausmalender Vergleichung ist er nicht minder berühmt:
dient sie bei ihm derselben Absicht? Will auch er das Äbersinnlichei bas
Geistige durch ein sinnliches Gegenbild für die Vorstellung faßbar machen?

Als die Troer siegreich vordringend den Schiffen zueilen, bahnt ihnen
Apollon den Weg durch die Schanzen der Achäer, indem er Wall und
Grabenränder mit gewaltigem Fuße niedertritt, leicht wie ein Kind, das
am Strande spielt und die Burg, die es sich errichtet hat, mit eignen
Füßen und Händen wieder einebnet (XV 362). Da wird durch ein
Beispiel aus alltäglichem Treiben eine übernatürliche Wirkung vorstellbar
gemacht; aber auch sie ist durchaus körperlicher Art, nur über menschliches
Maß hinausgehend. Bicht anders, wenn der Flug des Götterboten zur
Insel der Kalypso mit dem Bilde der Möwe gemalt wird, die, um Fische
zu fangen, dicht über die Wellen hinstreicht (5, 3(). Die meisten Vergleiche
halten sich nicht bloß im Sinnlichen, sondern auch, mit ihren beiden Teilen,
in den Grenzen der Erfahrung. Was ist natürlicher, als daß dem Dichter,
während er einen Vorgang anschaulich beschreiben will, ein andrer, irgendwie
ähnlicher vor das geistige Auge tritt, den er, für alles Wirkende empfänglich,
nicht beiseite schiebt, sondern festhält, daß die Zuhörer sich mit daran freuen?
Beim Fall eines riesenhaften tzelden denkt er an die Eiche, die von der Axt
getroffen ist (XIII 389), bei der Verwundung eines Iünglings an die
Mohnstaude, die das tzaupt, von Frucht und Regen beschwert, Herabneigt
(VIII 306). Daß ein Schiff, wenn es den Wogen entgegen sich hebt
und wieder senkt, etwas von lebendem Wesen zu haben scheint, ist oft und früh
schon empfunden worden; von Rossen des Meeres läßt tzomer die Königin
einmal sprechen, deren Sohn sich solchem Fahrzeug anvertraut hat. Ihm
selbst wird daraus ein volles Bild: das Schiff, das den heimkehrenden
Odysseus trägt, fährt stolz durch die Wellen wie über die Ebene hin im
Galopp sich bewegend ein Viergespann ((3, 8Y.

Aber nicht immer lag der Vergleich, den die Zuhörer begreifen sollten,
so nahe. Wenn die Waffen des ausrückenden tzeeres flammend leuchten
wie ein Waldbrand auf Bergeshöhe (II ^55); wenn der Siegeslauf des
Diomedes, der die Geschlagenen in wilder Flucht vor sich hertreibt, mit
der verheerenden Wirkung eines Stromes verglichen wird, der die Dämme
sortreißt und über die Ufer tretend weit und breit das Land überschwemmL
(V 87); wenn um einen Gefallenen, den seine Freunde nicht preisgeben
wollen, die Kämpfenden sich drängen und der Dichter dies durch das
Bild der Fliegen anschaulich zu machen sucht, die im Frühling die vollen
Milcheimer umschwärmen (XVI 6U): so können wir uns des Eindruckes
nicht erwehren, daß der Vergleich doch eben mehr gesucht ist als emp-
funden, daß er einen Iweck erfüllen soll. Welcher mag das gewesen
sein? War denn für Szenen des Kampfes ein tzilfsmittel nötig zur Ver-
deutlichung? Die Führer das Heer ordnend, der krachende Zusammenstoß
bewaffneter Massen, ein Starker in eine Schar von Schwächeren ein-
brechend: das alles ist doch vollkommen anschaulich, war in einem kriege-
rischen Zeitalter keinem etwas Ungewohntes. Und doch meinte der Erzähler
dem aufmerksamen Sinn durch Bilder zu tzilfe kommen zu müssen: der

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