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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

DOI issue:
Heft 24 (2. Septemberheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Besinnen wir uns!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0441

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Recht, mit der sittlichen Entrüstung jetzt gar so hoch zu gehn. Aber
auch er hätte noch keins, alle Angehörigen eines Landes für dessen Politik
oder gar für die verblendeten Handlungen einer kleinen Minderheit ver«
antwortlich zu machen. Bismarck hat bekanntlich, dem Sinne nach, gesagt,
daß keine Politik unsittlicher sei als die englische, während doch der ge«
bildete Engländer als Privatmann meist durchaus ehrenhaft sei. „Die
Iapaner", „der Russe^, so dürfen wir sprechen, wenn wir volkstümlich reden
wollen, weil's anschaulich ist, im Volksgedicht etwa, da wird's nicht miß--
verstanden, als wenn jeder einzelne der fremden Nation einzeln damit
gemeint sei. Aber man tut es auch anders, das bewiesen die Ausschreü-
tungen gegen Fremde. Ls ist unser unwürdig, jetzt von den Lngländern
als einer Nation von Dieben zu sprechen, von den Franzosen als von
Großmäulern und Feiglingen, von den Iapanern als von den schlitz-
äugigen Räubern, von den Belgiern als von einem Mördergesindel. Ich
greife nicht aus der Luft, ich habe für alle diese Ausdrücke aus sehr an-
gesehenen Zeitungen Belege. tzabe sogar Belege dafür, daß man ohne
Widerspruch angeraten hat, Kriegsgefangene von Amts wegen schlecht zu
ernähren und wie Strafgefangene zu behandeln. Dem Völkerrecht zu--
wider und im Gegensatze zu hohen deutschen Offizieren, welche die belgi--
schen und die französischen Soldaten in der Gefangenschaft mit Worten
wärmster Anerkennung als tapfere Verteidiger ihres Vaterlandes der
Achtung der Deutschen empfahlen.

Wollen wir nicht überhaupt das tzerabsetzen der Feinde den andern
überlassen, die das möglicherweise nötiger haben? Und empföhle sich
vielleicht sogar, von diesem gewaltigsten Kämpfen, das zwischen Männern
geschehen kann, von diesen Ereignissen unerhörter Größe jetzt seltener
mit Vergleichen von — Prügel zu sprechen? Millionen Waffen richten
sich gegeneinander und Zehn-, vielleicht tzunderttausende von blühenden
Leben fallen, und uns scheint es angebracht, diese Tragik der Wirklichkeit
in jedem Tageblatt mit Vergleichen wie „verhauen" und „verdreschen" zu
ehren. „Aber unsre kämpfenden Iungen Lun das selbst." Dürfen es, sollen
es, schon um sich über die Spannungen hinwegzuhelfen — Gott gebe
ihnen, daß sie's immer können! Auch dem unreifen Volk daheim mag
diese Stilisierung des Großen ins Kleinste möglicherweise bekömmlich sein,
und den Reifen, wenn sie vom Gefühle des Aberstarken ausrasten wollen,
dessen Lasten auf sich ja keiner ununterbrochen ertragen kann. Aber was
geben wir ihm zum Ausgleich? Tatsachen, Gott sei Dank, wie wir sie
von den Grenzen herüber bekommen. Außerdem aber auch Tiraden in
Prosa und ach in Versen, die im Zeitungsphrasendeutsch jeden deutschen
Soldaten zu einen tzeroen machen, wie es „drüben" keine gibt. Warum
sind unsre Zeitungen so geizig mit der Anerkennung der fremden
Tapferkeit, die willig zu ehren auch im siebziger Kriege noch guter Brauch
war?

Und man hätt es doch eigentlich leicht, den rechten Ton zu finden. Denn
das sei mit besonderer Freude bekannt und unterstrichen: unser tzeer und
unsre Regierung haben ihn. Von den kaiserlichen Kundgebungen und
den Reden des Kanzlers ab geht durch alle ihre Reden und Schriften
 
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