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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 13 (1. Aprilheft 1915)
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Stolterfoth, ...: Bismarcks Testament
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0023

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Bismarcks Testament

glaube nämlich, daß es noch nicht erösfnet ist.

^^Wenn ich gefragt würde, was ich sür Bismarcks größte Tat hielte, mit
^Dder Verpflichtung, keine Allgemeinheiten auszusprechen, sondern einen
bestimmten und begrenzten Zusammenhang von persönlichen Handlungen
mit bestimmt angebbarem Zweck und Grund zu nennen, so würde ich
ohne den geringsten Zeitverlust antworten (denn diese Sache habe ich
ost in mir erwogen): Bismarcks diplomatisch größte Tat scheint mir die-
selbe zu sein, die auch menschlich seine größte Tat ist, und die er in
den „Gedanken und Lrinnerungen" im Kapitel Nikolsburg im IV. Ab--
schnitt und im Kapitel Der Norddeutsche Bund im VI. und VII. Abschnitt
dargestellt hat.

Diese Abschnitte sollte man in diesen Tagen lesen und immer wieder
lesen. Auf ihnen beruht (870. Auf ihnen beruht unsre heutige Stellung
in der Welt.

Der österreichische Gegner war geschlagen. Das Heer wollte begreis-
licherweise seinen Siegeszug bis zur Demütigung des Feindes fortsetzen
und in Wien einziehen.

Wichtiger war ein anderes. Preußen fühlte sich beleidigt und unrecht
behandelt und wollte „strafen". Ieder, der gegen Preußen das Schwert
ergriffen hatte, sollte ein Stück Landes dafür hergeben müssen. Vor
allem aber sollte der „Versührer" der Süddeutschen — Osterreich — nicht
ungestraft davonkommen. Bismarck, der allein stand gegen Heer und
König, wollte gerade dies alles vermieden wissen. Gerade alles das,
woran derl andern am meisten lag. Gerade die „Demütigung" und „Be-
strafung^ des Feindes. Der Rivalitätskampf der Gegner gegen uns sei
«m nichts strafbarer als der unsrige gegen sie. Wir hätten nicht ver--
geltende Gerechtigkeit zu üben, sondern Politik zu treiben. Wir hätten
nicht die Aufgabe, alle gegen uns zu verärgern, sondern eine dauernde
Versöhnung vorzubereiten.

Daß Bismarck nie eine Versöhnung um jeden Preis gewollt hat, wissen
wir genugsam, und das hat er auch bewiesen, als er (87( Elsaß-Lothringen
zurücknahm, obwohl er wußte, daß dieser Friede die Versöhnung mit
Frankreich für das nächste halbe Iahrhundert unmöglich machte.

Die menschlich-sittliche Größe der Tat beruht nicht in dem Willen zur
Versöhnung an sich, sondern darin, daß er die Selbstbeherrschung hatte,
das sehr starke aber minderwertige Moralgefühl der Vergeltung in sich
und anderen niederzukämpfen und sich dadurch den Weg freizumachen
zu einer rein sachlichen Abwägung der Gegner und ihrer Bundes-
fähigkeit.

Man spricht so viel von einem Testament Bismarcks und bersteht darun-
ter das Mannigfaltigste, zumeist Höchst erschröckliche Dinge, die mehr nach
Napoleon I. und noch mehr nach Dschingis Chan schmecken als nach
Bismarck. Hier ist sein eigentliches Testament. Die Sicherheit, mit der
er politische Psychologie trieb, Dauerndes begründete und sich in seinen
politischen Rechnungen unbeirrbar erwies gegenüber Sentimentalitäten,
wie es die Ideen der Gloire, der Demütigung des Feindes und der Ver-
geltung sind.

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