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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1915)
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Schmidt, Leopold: Betrachtungen eines Opernbesuchers
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0169

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Betrachtungen eines Opernbesuchers

unsrer Zeit der „Bearbeitungen" — textlicher wie musikalischer —
^^hat die Frage nach dem Zusammenhang von Wort und Ton für die
^FPraxis erhöhte Bedeutung gewonnen. Ist die Musik nur ein der
Dichtung übergeworfenes Kleid, oder ist sie mit ihr, um ein Goethesches
Bild zu gebrauchen, wie die Haut mit dem Körper verwachsen, so daß
man die eine nicht verletzen kann, ohne dem andern weh zu tun? Sieht
man, mit welcher Anbefangenheit älteren Kompositionen neue Texte unter--
legt werden, möchte man fast das erste glauben, möchte meinen, die Kom-
ponisten HLtten sich beim Schafsen lediglich an die Metrik des Textes,
allensalls an seine Grundstimmung gehalten. Von der Befruchtung der
Weise durch das Wort, von der inneren Notwendigkeit des musikalischen
Ausdrucks scheinen solche Bearbeiter nichts zu wissen. Sie berusen sich
auf zufällig geglückte Linzelfälle und glauben nun systematisch verfahren
zu können. Ie bedeutender aber die Musik, deren sie sich bedienen, das
heißt je wahrhaftiger ihr Ausdrucksvermögen ist, um so sicherer leiden sie
notwendigerweise Schiffbruch.

Iüngst hatten wir in Berlin erneute Gelegenheit, über derlei Dinge
nachzudenken. Ein begabter junger Musikus und Schriftsteller, Dr. Hans
Ioachim Moser, hat zu Webers „Euryanthen^rnusik eine eigene Dichtung
verfaßt, und die Hofoper hat das Werk in dieser Gestalt zur Ausführung
gebracht. Hier, auf dramatischem Gebiete, erscheint solch Unternehmen
noch gewagter, da ja im Drama, wenn anders es diesen Namen verdient,
die Musik nicht nur dem Worte, sondern auch dem Charakter der
Handlung entfließt. Moser hat nun — man höre und staune! — Webers
romantischr Rittertragödie in eine MLrchenoper umgewandelt. Das Volks-
märchen von den „Sieben Raben" dünkte ihn, wohl der auch ihm inne-
wohnenden Romantik wegen, ein geeigneter Stoff. Statt der Wette um
Weibestreue erleben wir einen Streit um die Legitimität der Königs-
braut, statt um Ehr und Leben geht es um den Verlust einer einträg-
lichen Hosstellung, statt der schicksalbeladenen Euryanthe hören wir eine
durch Zauber gebundene Märchenprinzessin singen, statt des eifersüch-
tigen Adolar einen vertrauensvollen Königssohn, statt des aus verschmähter
Liebe rachsüchtigen Lysiart einen intriganten Kanzler und statt der dämoni-
schen Eglantine (die Partie, die charaktervollste von allen, ist geteilt!)
bald eine gütige Fee, bald die streberische, gänzlich uninteressante Frau
des Kanzlers. Aus dem Hochzeitsmarsch wird ein Gang zum Scheiter-
haufen, die geheimnisvollen Klänge aus Emmas Gruft künden die in
Raben verzauberten Brüder, deren rettendes Lingreifen wiederum von
der unheilvollen Musik zur Kampfszene mit der Schlange begleitet wird!
Gewiß sind manche Schwächen der Originaldichtung, so das unmotivierte
Schweigen Euryanthes, verstandesgemäß behoben. Aber zu dieser Hand-
lung, diesen Charakteren sollte Webers Musik passen? Dem Meister, der
das Vorbild des „Lohengrin" geschaffen, der gerade mit seiner „Eu-
ryanthe^ den Anstoß zu der modernen dramatischen Bewegung gegeben,
der sein ganzes Streben daran gesetzt hat, aus der Oper auf Grund der
Dichtung eine nach Wahrheit des Ausdrucks ringende Kunst zu machen, ihm
sollte man die Quelle seiner Erfindungen wegeskamotieren können, ohne
daß seine Musik in ihrer Bedeutung und Verständlichkeit Schaden litte?
Dergleichen Neudichtungen sind schon mehrfach versucht worden; sie sollten

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