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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 16 (2. Maiheft 1915)
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Schmidt, Leopold: Betrachtungen eines Opernbesuchers
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0172

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Opernhaus Mehuls „Ioseph und seine Brüder" aus, das früher viel-
bewunderte, klassische Werk. Ans will es nicht mehr munden. Diese nur
von Männern getragene Handlung (die einzige Damenrolle ist der Knabe
Benjamin) mit ihrer patriarchalischen Ruhe und Linsachheit, dieser mehr
oratorienhafte als dramatische Stosf fesseln auf der Bühne nicht mehr unser
Interesse. Man nimmt aus der Musik den Eindruck der Reinheit und mil-
den Hoheit, aber nicht die Verheißung neuer Lebensfähigkeit mit. Die nächste
Spielzeit wird das Werk schwerlich wiedersehn. Freilich ist ihm die Auf-
führung, so anständig sie in musikalischer Beziehung war, nicht gerecht
geworden. Im „Ioseph" spielt der gesprochene Dialog eine wichtige Rolle,
und der Vertreter der Titelpartie muß ein ebenso guter Darsteller wie
Sänger sein. Die Lrfolge Niemanns beruhten seinerzeit vornehmlich in
der großen schauspielerischen Wirkung. Daran aber gebricht es dem mo«
dernen Operntheater so gut wie ganz. Wir haben im günstigsten Falle
schöne Stimmen, nichts weiter. Das Wagnersche Drama hat nicht, wie man
erhofste, große Darsteller hervorgebracht. In ihm ist das Schauspielerische
so sestgelegt, daß der Individualität wenig Spielraum geblieben und
etwa vorhandene Begabungen nicht gefördert werden konnten. Die große
Wagnergeste ist Gemeingut aller, ist ebensogut Klischee geworden wie
die Opernsängerpose vor dem Soufsleurkasten von ehedem. Im Gegen-
teil: die Verdrängung des Prosadialoges, der immerhin eine gewisse Schu-
lung voraussetzte, hat ungünstig gewirkt. Rnsre Sänger sind schauspie-
lerisch zurückgegangen gegen die frühere Generation, die mehr mit der
Spieloper zu tun hatte und im wechselnden Repertoire vielseitiger sein,
selbständiger schaffen mußte. Auch das sind Beobachtungen, die sich einem
Opernbesucher aufdrängen. Vielleicht steht indessen schon sür die nächste
Zukunft ein Wandel zu hoffen. Es läßt sich nämlich nicht verkennen, daß
gewisse Schöpfungen der Neueren dem SLnger auch darstellerisch eigenartige
Aufgaben stellen und ganz bewußt das schauspielerische Element in einer
Weise heranziehen, die sich vielleicht für die Opernbühne späterhin noch
fruchtbar erweist. fm) Leopold Schmidt

Vom Heute fürs Morgen

VomKrieg, dem Verwandler

ein Tal, kein Herz, in dem eZ
heute nicht vom Widerschein der
Kriegesfackel zuckte. Kein Ding, an
dem sich nicht die roten Strahlen
brächen. Nnd alle diese Dinge glän-
zen auf in einem neuen Schein. Wir
glaubten sie seit Iahr und Tag zu
kennen. Wir glaubten, alles über
sie gesagt zu haben, was zu sagen
ist. Da blitzt der Krieg darüber hin,
und plötzlich kommt es uns vor, als
hätten wir sie noch nie geschaut.

Nicht wahr, Weib, du kanntest
deinen Mann, wie niemand sonst?
Nicht eine Falte seines Wesens war

dir unvertraut. Doch wie er gestern
in den Krieg zog und du ihm un-
tern Helm sahst, erschrakst du. Nicht
weil er vor den Feind zog — dazu
bist du viel zu tapfer. Erschrocken
bist du über deines Mannes An-
gesicht. Das war ein neues, nie
gesehenes. Eins, das der große
Wandler Krieg gezeichnet hatte. Du
gingst in deine Kammer, denkend:
Auch die Liebe leuchtet nicht den
ganzen Menschen aus.

Und dir, Krieger, der du aus-
ziehst, ging es dir mit deinem Weibe
nicht ebenso? Sie, die du als ein
Wachs in deinen Händen ansahst, sie
 
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