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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 13 (1. Aprilheft 1915)
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Stolterfoth, ...: Bismarcks Testament
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0026

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weil der Srnn des Gesetzes in ihnen ist> und sie von Natur die Gerech-
tigkeit mehr achten und üben als die Ungerechtigkeit. Für die Krummen
ist im Gegenteil das Gesetz eine ungern gesehene Schranke. Sie freuen
sich jedes Vorwandes, es zu durchbrechen. Die englische Moral — wenig-
stens die ihrer Politik — gestattet solche Vorwande. Hierauf hat man
allerdings ein Recht hinzuweisen.

Der Hauptgesichtspunkt sür eine wirklich sittliche Bewertung muß doch
noch ein andrer sein.

Was Bismarcks achtzehnhundertsechsundsechziger Stellungnahme sittlich
so hoch hebt, ist das höhere Ideal, aus dem er seine Handlungsweise be-
stimmte. Seine Widersacher sahen nur ihr engeres kleines Vaterland Preu--
ßen und dessen Feinde, die es „strafen" müsse. Er sah Deutschland und
dahinter die Freundschast mit den Deutschen außerhalb des Reichs.

Was Grey jetzt getan hat, einschließlich seines japanischen Streiches,
kann man nicht als unmoralisch im Sinn unsrer gebräuchlichen und
durchschnittlich befolgten politischen Moral bezeichnen. Denn das
Fallenstellen — zum Beispiel, daß man die Verantwortung für einen
Neutralitätsbruch, den man selbst vorhat, dem Gegner zuschiebt und Ähn-
liches — ist alte politische Gepflogenheit. Erst recht, daß man andre Staaten
aufeinanderhetzt, um selbst Ruhe zu haben.

Aber das positiv Sittliche fehlt; es sehlt jedes Merkmal des über-
legenen sittlichen Blickes. Es fehlt das weitere, freiere, höhere,
größere Ideal, es fehlt jede Spur einer Linsicht darein, daß es sich für
eine wirkliche und aus der Tiefe des heutigen Kulturstandes heraufge-
schöpfte politische Moral jetzt um das Ziel der Einigung des Äbend-
landes handelt. Erst von diesem Ziel aus gesehen bekommt das eng-
lische Vorgehen den Charakter des ^Neides^, den Charakter einer minder-
wertigen kleinen und engen Moral, die nicht an Europa, sondern nur
an England oder sogar nur an Englands Geldinteressen denkt.

Wer diesen Vorwurf nun aber selbst zu Recht erheben will, muß für
das eigene Volk das bewußte Ins-Auge-fassen dieses höheren Ideals in
Anspruch nehmen können.

Ich glaube, daß wir es der Sache nach können. Ich glaube, daß es
unter uns wenigstens aus dem Wege zum Bewußtsein hinauf ist. Mir
scheint, daß es in unserm Volke lebt und die gewichtigeren politischen
Erörterungen unter den wirklich denkenden Köpfen färbt. Es muß nur
stärker in die eigentliche Helle des Bewußtseins hinaufgehoben werden.

Ob es auch in unsrer verantwortlichen Politik lebendig ist, wird sich
für die Offentlichkeit erst in den zukünftigen Friedensverhandlungen be-
währen.

Die erst recht eigentlich werden sozufagen die Eröffnung des Bismarck-
schen Testamentes bringen. ^ Stolterfoth

Brsmarcks Sprache als Ausdruck*

nterfcheiden wir zwischen dem Bismarck, der zur Offentlichkeit spricht,
I und dem, der in seinen Briefen und Gesprächen als Privatmann
^^den Lauf der Welt vertraulich und betrachtsam fchildert auch da,
wo er selber mitten inne steht im weiträumigen Wirbel der Gescheh-
nisse. In Stücke zerfällt uns darüber die Persönlichkeit nicht. Gerade

* Aus einem vor elf Iahren im Kunstwart erschienenen Aufsahe.

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