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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 18 (2. Juniheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0256

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Vom tzeute fürs Morgen

Haß und Zorn

o hat der Kanzler in der letz--
ten Reichstagssitzung gesprochen:
„Nicht rnit Haß führen wir diesen
Krieg, aber. mit Zorn, mit heiligem
Zorn!" Was ist der Unterschied?

Zorn ist immer srisch vom Ouell,
Haß ist aus Flaschen gezogener Zorn,
und in den Flaschen gärt er, wer
weiß von welchen Bazillen. Zorn
antwortet unmittelbar dem, was be--
leidigt hat, Hieb gegen Hieb. „And
wer von hinten dich bespuckt, schlag
nieder den von vorn!" Er mag ein--
mal überschnell, mag einmal unge--
recht sein, aber er antwortet immer
unmittelbar der Tat. Haß dagegen
hat als Dauerzorn eben das Ge--
gorenein sich, sozusagen den Alko-
hol, der sich erst bilden muß, und
außerdem sinden sich in ihm, unbe-
kannt woher: dreingeslossene Gesühle,
hinzugerutschte Begrisfe, versetzte Ge-
danken. WLHrend der Zorn sich be-
tätigt — und verfliegt, hat der Haß
so viel Zeit, sich anzupassen und ein-
zurichten, sich an Unsauberkeiten an-
zustecken und rings andere anzu-
stecken, zu verallgemeinern, zu über-
wuchern und an dem fremden oder
selbsterzeugten Giste sich zu berau-
schen, bis er toll wird. Der Ernst
der Zeit braucht Zorn zum Kampse,
frischen Zorn, der nach dem Schlage
zum Gegenschlag alle Nervenkrast in
einen Willen sammelt. Aber Haß
braucht er ganz gewiß nicht. Haß
hat ja überhaupt keine Nervenkraft-
spannung, denn aus die Dauer läßt
sich ja kein Nerv in der Gespanntheit
halten, er ist nur Rausch, der den
Gedanken lähmt, unbesonnen macht,
dumm macht. Nnd „heilig" sein
kann nur der Zorn, da ja nur dem
Frischen alles Verunreinigende
sehlen kann. snH A

SprachneuheiLen

er durch den Krieg neu belebte
Kampf gegen die Fremdwörter
sollte uns nicht blind und wehrlos
machen gegen die „Sprachdumm-
heiten", welche die innere Kraft un-
serer Sprache ernster noch bedrohen
als Lehnwörter. Es ist unheimlich»
wie so ein falsch gebildetes Wort
irgendwo in einer Zeitung auftauchtz
durch Nachdruck sich vertausendfacht
und plötzlich bis in wissenschaftliche
Arbeiten Hinein den alten guten
Ausdruck überwuchert.

Zum Beispiel: „Der Freispruch
des Angeklagten". Auch Nniversi-
tätslehrer schreiben und sprechen
heute so. Vor wenigen Iahren noch
sagte jedermann richtig die Frei-
sprechung des Angeklagten. Frei-
spruch wäre der Spruch eines Frei-
gerichts, wenn es etwas Derartiges
gäbe. Diesen Nnterschied kennk
man, diese Unter s ch eid un g übt
man. Man unterscheidet Lrwerb
des Kaufmanns und Erwerbung
der Kolonien, den Schluß und die
Schließung einer Versammlung.
Man sagt Richterspruch und
Rechtsprechung, Aufgabe und
Aufgebung. Was allerdingsnicht
hindert, daß man gelegentlich von
der Aufgabe von Prinzipien liest,
wo die Prinzipien aufgegeben wer-
den sollen. Nnd doch sollte mit der
Aufgabe eines Kofsers, Kleider in
sich aufzunehmen, die Ausgebung
eines solchen am Gepäckschalter nicht
verwechselt werden. Gleichwohl haben
wir manchmal vom Morde des
Thronsolgers, statt von seiner Er-
mordung gelesen, wenn nicht der
Zeitungsmann in dem dumpsen Ge-
fühl, daß da etwas sprachlich nicht
stimme, von dem Mord am Thron-
folger berichtete, der dadurch dann

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