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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 14 (2. Aprilheft 1915)
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Schumann, Wolfgang: Bücher der Zeit, 2: zu der Frage was man heute lesen "soll"?
DOI Artikel:
Bartning, Otto: Überlieferung und bewußte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0075

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dieser Hinsicht den Vorzug verdient, so ist es zuerst nicht ein feindliches,
sondern ich meine, daß es Osterreich-Ungarn ist. Ich spreche mit Bedacht
dies aus: es ist traurig und beschämend, es ist oft, besonders sür Osterreicher,
die das beobachten, empörend: wie wenig die Gebildeten des Deutschen
Reiches vom inneren Leben Osterreichs wissen.

Viertens, und sür heute letztens: der Krieg ist die „Fortsetzung der Po-
litik^. Nicht ein vollständiger Ersatz für die Politik, wie jeder etwas
Belesene weiß, denn die Politik läust — zum Beispiel als Gestalterin
des Verhältnisses zu den Neutralen und auch als Mitgestalterin des Krieges
selbst — unausgesetzt weiter. In der Politik findet man also Aufschlüsse
über die Entstehung und über den Ablauf des Krieges. Was aber ist
„Politik"? Wie verläuft dieser zeitgeschichtliche Vorgang? welche Männer
tragen ihn, welche Kräfte wirken ihn, welche Formen und Aberlieferungen
charakterisieren ihn? Ansere Zeitungen sagen darüber wenig; die meisten
machen Politik, aber wer nicht nur beeinflußt, erbaut, mitgerissen, zurück-
gehalten sein will, sondern wer „tiefer sehen" will, wird Bücher, nicht
Zeitungen besragen müssen. Ich weiß in dieser Zeit manchen, dem über
dem Studium der Politik förmlich die Augen ausgingen und der zum
ersten Male im Leben sah, welche Mächte und Kräste eigentlich da
wirken.

Anter der Aberschrift „Bücher der Zeit" und nach den eben entwickelten
Grundsätzen soll hier nach und nach eine Reihe von Büchern besprochen
werden, die dem Bedürfnis des Tages vermeintlich oder wirklich dienen.
Zunächst das Bildungmittel eines runden Hunderttausends deutscher Käuser:
H. S. Chamberlains „Kriegsaufsätze". WolfgangSchumann

Äberlieferung und bewußte Kunst

Auch Friedrich Ostendorf ist nun nicht mehr, als Dreiundvierzigjähriger war er
mitgegangen, und nun ist er, am l6. März, an der Spitze seiner Kompagnie

in Frankreich gefallen.

^^.or anderthalb bis zwei Iahrzehnten, als der Iugendstil abgewirt-
Tschastet hatte, setzte bei uns der Hinweis auf die Aberlieferung ein.

Man erblickte die Arsache der Haltlosigkeit und Willkür der damaligen
Moderne darin, daß man aus dem Nichts heraus einen neuen Stil hatte
erfinden wollen, statt ihn ruhig und folgerichtig aus der Vergangenheit,
und zwar logischerweise aus demjenigen Abschnitt der Vergangenheit
heraus zu entwickeln, der zuletzt einen geschlossenen Stil aufwies. Das
Erbe dieser Vergangenheit wurde ausgesucht, photographiert und als vor-
bildliche „Tradition" ausgerufen. In den besseren, und daher zur Be-
urteilung maßgebenden Fällen war die Triebfeder diefes Studiums übrigens
nicht das hiftorische Kalkül, sondern eifriger Glaube, aufrichtige Liebe
und — nur unbewußtermaßen anempfundene — Gesinnungsgemeinschaft mit
der gepriesenen Vergangenheit. Seit kurzem wird die Tradition nun
staatlich konserviert und regiftriert.

Aber war und ist solches Zurückgreifen auf Aberlieferungen nicht ein
natürlicher, ein logischer, ein geschichtlich erprobter Weg zur Gesundung
und zur Weiterentwicklung?

Die griechische Antike enthält ägyptische Aberlieferungen, das Stärkste im
römischen Baustil der Republik sind neben und vor den griechischen die
etruskischen Erbschaften, die Renaissance schöpst aus den römischen Resten,

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