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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 18 (2. Juniheft 1915)
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Vogeler, Erich: Kriegsbilder, [2]: (Schluß)
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Avenarius, Ferdinand: Die Sage lebt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0253

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kann das in Worten nur andeuten; es ist die lebhafte Energie der
Malerei, die rhythmisch straff zum Willen dieses Kopfes aufsteigt, in dieser
Energie selber das Ganze in einen Willen fassend, einen feldgrauen
Willen möchte man sagen. Dieses Bild, das ist nicht ein Offizier in
Feldgrau, das ist das Porträt in Feldgrau, die Malerei in Feldgrau.
Liebennann hat auch sonst dem großen Zeiterleben seine Hand geliehen,
vor allem mit dem Zeichenstift. In den Künstlerslugblättern „Kriegszeit"
besorrders hat er manches leidenschaftliche Blatt geschaffen, das zeigt, wie
in dem Naturalisten und Impressionisten ein heimlicher Rhythmiker steckt,
der über die bloß sichtbare Wirklichkeit hinauslangt zu dem Gefühl
der Zeit. sm^j ErichVogeler

Die Sage lebt

Der WLchter von Czillen
^m^er Wächter von Czillen blies Mitternachtsstund,

>-DDDa trat ein kleines Männlein aus dem Schattengrund,
^^„Pfeif dreizehn!", so sprach's und ließ ihm keine Ruh,
Es kam jede Nacht, und es bat immerzu.

Nnd als er geblasen zum dreizehnten Mal,

Drei Särge standen vor ihm im Nebelstrahl.

Der erste, der war von Blut so rot,

„Ach, kleines MLnnlein, sag, deutet das meinen Tod?"

„„Ach, Wächter, dein Blut, das füllt ihn nicht,

Ach, Wächter, dein Blut, das hüllt ihn nicht.

Das ist das Blut von vielen tausend Reiterlein,

Die müssen nach Rußland und Frankreich hinein,

Das ist das Blut von tausenden Frauen und Knaben,

Die werden die Füchse und die Krähen begraben!""

Der zweite, der war voll Wassers rein:

„Ach, MLnnlein, wird das ein böser Szaktarp* sein?"

„„Ach, Wächter, Memelwasser ist im Frühling kalt wie Eis,
Das rinnt nicht so bitter und so salzig und so heiß.

Das sind der Witwen Tränen um das vergossne Blut,

Der Heimatlosen Tränen um das verlorne Gut,

Nm das blökende Vieh, das auf der Straße stirbt,

Am den Weizen, den der Feind in der Scheuer verdirbt!""
Der dritte war so leer, darin war nichts zn sehn,

Kein Leichentuch, kein Kissen, keine Sägespän:

„O, kleines Männlein, sage, wer soll denn da hinein?"

„„Das wird der ganze Wohlstand eines Landes sein,

Was lebenslang ihr schafftet mit Fleiß und Sorg und Treu.
Nnd dein Hof, und dein Gut, die sind auch dabei,

Und dein Sohn ist dabei, und du wirst sein Grab nicht sehn,
Nnd du selbst wirst heimatlos nach Westen betteln gehn!"«

* „Szaktarp" bezeichnet einen nreist irn Frühjahr oder irn Herbst infolge
von Eisgang und Hochwasser eintretenden Äberschwemmungszustand des Mernel-
mündungsgebietes, das leichter Frost mit einer zum Äberschreiten zu dünnen
Eisdecke belegt hat. Der „Szaktarp" unterbricht jeglichen Verkehr und hält
oft sechs Wochen und länger an.

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