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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 13 (1. Aprilheft 1915)
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0027

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irn Gegenteil. Daß sie sich einrnal im Diplomatenfrack, das andere Mal
im Hausrock oder in Hemdsärmeln darstellt, das rundet ihr Bild über«
aus anschaulich.

Bismarck als Redner durch die Iahrzehnte hin zu verfolgen, gewährt
einen eigenen Genuß. Der Unterschied zwischen dem händellustigen Iun-
ker inr ersten preußischen Landtage von Anno und dem alten Herrn,
der in Friedrichsruh für jeden ein freundliches Wörtchen hat, ist sehr
groß, aber doch nicht größer als der Unterschied zwischen Iugend und
Alter im allgemeinen. In der Iugend steht er schroff gegensätzlich zur
herrschenden Meinung, und fast jedes Wort und jede Wendung in seinen
damaligen Reden erwächst aus dem bewußten Gefühl dieses Gegensatzes.
Der Abgeordnete, mehr noch der Konfliktsminister — sie sprechen im
Kanzlei-, im Diplomatenstil. Aber in diesen beträchtlichen Perioden, die
so ganz nur auf nüchterne Tatsachen eingestellt sind, ist jedes „Und",
jedes „Aber" leidenschaftlich gespannt, nimmt es gleichsam Kampfstellung
ein. Wo die Spannung nachzulassen scheint, geschieht es meist nur, um
etwas Raum für die schlagende Wirkung eines überaus verbindlich ge-
formten aber nichtsdestoweniger scharf treffenden Witzes zu gewinnen. Es
war das die Zeit, wo ein leiser Zweifel an der guten Erziehung, ein
Zweifel an der Wahrhaftigkeit der vorgetragenen Meinung genügte, Bis»
marck zur Pistolenforderung zu treiben. Schon in den siebziger Iahren
verliert sich diese Schwüle, die Rede fließt freier, plaudersamer dahin^
die Neigung, „einzukehren" in allerhand episodische Winkel und charak-
teristische Aussichtspunkte, nimmt zu. Gegen das Ende hin überwiegt
das historische Bewußtsein fast das für die jeweilig gegenwärtige Auf-
gabe. Aber die Reden der gesamten fünfzig Iahre verbindet die stets
bereite Fähigkeit Bismarcks, den „springenden Punkt unlöslich^ zu er-
kennen und ihn mit so viel plastischer Kraft des Ausdrucks allgemein
verständlich zu machen, daß eine Widerlegung dieser nunmehr ganz selbst-
derständlich anmutenden Beweisführung auf den ersten Blick hin schwer
möglich scheint.

Aber keine Rede als Ganzes ist eine Redensart, selbst wenn er sie
mit Redensarten ausstattet. Politisch wie rednerisch ist er von Anfang
an Realist, und so sticht er merkwürdig ab aus dem schwungvollen Ge-
tümmel der vormärzlichen wie der Zeit des Konflikts. Er ist das gerade
Gegenteil von dem, was man damals einen hinreißenden Redner nannte.
Die Radowitz, Vincke, Gagern, Gerlach konnten ihren Flug gar nicht hoch
genug nehmen, der König selber liebte den Rausch und den hohen Ton
am Worte. Wie roh, wenn dagegen Bismarck, dieser „rote Reaktionär",
die hohe Diplomatie in Vergleich mit dem Pferdehandel stellte, wenn er
die „gleichmachende Heckenschere" aus Frankfurt vom preußischen Adler
fernhalten wollte, wenn er die „weinerliche Sentimentalität des Iahr-
hunderts" sarkastisch bespöttelte! Bilder braucht auch er, aber er nimmt
sie, wie er sie bequem findet, er sucht sie nicht, er dekoriert nicht lange,
hier ein Kränzlein und dort einen Strauß, er zupft die Blüten nicht
einzeln hervor, um sie dann als Maßlieb und Rittersporn säuberlich
auszudeuten bis in ihre fernsten Beziehungen hinein. Sondern er sagt:
die Sache liegt so und so, im Bilde gesprochen etwa so. Die preußische
Krone soll nicht machtlos, nicht nur als „zierlicher Kuppelschmuck des
Staatsgebäudes" erscheinen wie die englische. Wenn er das „Narren-
schiff der Zeit am Felsen der christlichen Kirche" scheitern zu sehen hofft»
 
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