Seine rechte Zeit hat nun der Krieg gebracht: jetzt ist es vielen Tausenden
aufgegangen. Andre Bilder verwandter Absicht machen zwar auf den
Kunstfremden zunächst mehr „Effekt"; wer in die Augen knallt, wirkt ein-
dringlicher, als wer sie ruhig berührt, wir haben ja deutschtümelnde Bil-
derfabrikanten, die fogar mit Buchfchmuck wie Kulissenreißer grimassieren.
Die Meifter grimassieren nie. 1km den Ernst eines Dürerschen, Rem-
brandtschen, Rethelschen Blattes zu erleben, muß man sich hineinsehen,
und bei Boehle ist's ebenso. Seine Bilder schreien einen nicht an. Kann
jemand, der einen gerüsselten Hölldrachen eben besiegt hat, einfacher
dastehn, als dieser Georg? Ganz ungezwungen führen uns die Linien
zum Gesicht. Das Auge sitzt dann freilich wie der blitzende Stein im
Ring. Hat man aus ihm das Licht gefühlt, so vergißt man auch das Ganze
nie. Hier ist keine Komödianten-Kunst, sondern gelebte, herbe, männliche.
Otto Speckters Pfingstlicher Kirchgang ist auch solch ein Bild, über
das die wahrhaft Fortgeschrittenen von geftern als über Kitsch die Nase
gerümpft hätten, obgleich es in Lichtwarks Hamburger Kunsthalle hing.
Wem's um die künstlerischen Probleme allein geht, der hätte auch viel-
leicht ein Recht, es als „überwunden" anzusehn, sofern er bei solchen Pro-
blemen nur an die Aufgaben dachte: wie drücke ich mich aus? Viel-
leicht, nicht einmal das ist gewiß. Gewiß ist aber, daß wir eine Menge
Bekundungen echten und herzlichen deutschen Fühlens durch ästhetelnde
Engsichtigkeit diesem unserm Volke verleidet haben, das hierbei früher
etwas aus sich heraus empfand, während fein Sich-Bemühen um nur-
artistische Probleme einigermaßen krampfhaft bleiben mußte. Der alte
Speckter hat hier die Liebe am deutschen Dorf und seiner stillen und
tiefen Schönheit gemalt, die Liebe daran und die Liebe daran —
waren die nicht auch Dinge, des Malens wert?
Das Spielmannsbild über der ersten Seite, von Wilhelm Roegge,
kommt aus dem Bande „Vaterland", das Schlußstück „Sternennacht^ von
Otto Bauriedl aus dem Bande „Tag und Nacht".
herausgeber: vr. d. c. Ferd. Avenarius tn Dresden-Blasewitz; verantwortlich: der Herausgeber —
verlag von Georg D- W. Callwey, Druck von Kastner K Lallwey, k. Hofbuchdruckerei in München —
In Ssterreich-Ungarn für Herausgabe und Schriftleitung verantwortlich: vr. Richard Batka in Wten XII1/6
aufgegangen. Andre Bilder verwandter Absicht machen zwar auf den
Kunstfremden zunächst mehr „Effekt"; wer in die Augen knallt, wirkt ein-
dringlicher, als wer sie ruhig berührt, wir haben ja deutschtümelnde Bil-
derfabrikanten, die fogar mit Buchfchmuck wie Kulissenreißer grimassieren.
Die Meifter grimassieren nie. 1km den Ernst eines Dürerschen, Rem-
brandtschen, Rethelschen Blattes zu erleben, muß man sich hineinsehen,
und bei Boehle ist's ebenso. Seine Bilder schreien einen nicht an. Kann
jemand, der einen gerüsselten Hölldrachen eben besiegt hat, einfacher
dastehn, als dieser Georg? Ganz ungezwungen führen uns die Linien
zum Gesicht. Das Auge sitzt dann freilich wie der blitzende Stein im
Ring. Hat man aus ihm das Licht gefühlt, so vergißt man auch das Ganze
nie. Hier ist keine Komödianten-Kunst, sondern gelebte, herbe, männliche.
Otto Speckters Pfingstlicher Kirchgang ist auch solch ein Bild, über
das die wahrhaft Fortgeschrittenen von geftern als über Kitsch die Nase
gerümpft hätten, obgleich es in Lichtwarks Hamburger Kunsthalle hing.
Wem's um die künstlerischen Probleme allein geht, der hätte auch viel-
leicht ein Recht, es als „überwunden" anzusehn, sofern er bei solchen Pro-
blemen nur an die Aufgaben dachte: wie drücke ich mich aus? Viel-
leicht, nicht einmal das ist gewiß. Gewiß ist aber, daß wir eine Menge
Bekundungen echten und herzlichen deutschen Fühlens durch ästhetelnde
Engsichtigkeit diesem unserm Volke verleidet haben, das hierbei früher
etwas aus sich heraus empfand, während fein Sich-Bemühen um nur-
artistische Probleme einigermaßen krampfhaft bleiben mußte. Der alte
Speckter hat hier die Liebe am deutschen Dorf und seiner stillen und
tiefen Schönheit gemalt, die Liebe daran und die Liebe daran —
waren die nicht auch Dinge, des Malens wert?
Das Spielmannsbild über der ersten Seite, von Wilhelm Roegge,
kommt aus dem Bande „Vaterland", das Schlußstück „Sternennacht^ von
Otto Bauriedl aus dem Bande „Tag und Nacht".
herausgeber: vr. d. c. Ferd. Avenarius tn Dresden-Blasewitz; verantwortlich: der Herausgeber —
verlag von Georg D- W. Callwey, Druck von Kastner K Lallwey, k. Hofbuchdruckerei in München —
In Ssterreich-Ungarn für Herausgabe und Schriftleitung verantwortlich: vr. Richard Batka in Wten XII1/6