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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1924)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Reise nach Holland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0013

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Neise nach Holland

^^^chon die Vorstellung: Reisenl ist Glückes genug. Es wird niemand
(^^ergründen, warum. Die Lust dazu ist angeboren. Der Tag selber, an
^^dem es anfängt, ist von Anfang an ein Morgen mit Lerchengesang.

Die Eisenbahn — eigentlich hasse ich sie. Mit den Sinnen und dem
Kopfe. Sie rußt, riecht übel, rattert, beschmutzt, beunruhigt, zwängt uns
in Stallesbreite ein. Sie frißt die Kohlen, die wir als edelstes Gut besser
gebrauchen sollten, mit ihrer längst im technischen Geist überholten Kon-
struktion. Aber nun beglückt sie doch namenlos. Wie herrlich fernever-
heißend klingen schon die Schilder: Amsterdam! Vlissingen, Bruxelles!
den Haag! Das ganze Niederland breitet sich vor dsm inneren Auge. Und
die Erinnerungen dazu! Wie man als Kind gereist ist. Die Eltern waren
natürlich voll Angst. Sie waren noch nicht eisenbahngewohnt wie wir. Zu
Hause gab es einen großen Auftritt: Feierliches Versprechen willigen Ge-
horsams unterwegs! nicht zum Fenster hinauslehnen! nicht dies und nicht
das! Der Zehnjährige gab es rasch, überzeugt und doch flüchtig — im
Gefühl: Laßt uns doch losziehen! wozu die Vorverhandlungen... Dann aber
dauerte es noch lange, bis Butterbrote, Reiseführer, Fernglas, Lornister —
damals waren „Tornister" Trumpf! .— und die tausend Dinge fertig
waren, die nun einmal dazu gehörten. Bis man endlich am Fenster hing
und die eilende Landschaft fraß. Ia, fraß! das war kein „Sehen" und kein
Beurteilen gar, nur ein unbesonnen-herrliches Hereinholen von tausend
Bildern und Bildchen. Ieder Storch war ein Glück, und ein Teich war
eine Wonne, wie er dalag im Sonnenschein mit einem alten Kahn, einem
Angler und einer AferkrLhe..

Amsterdam! steht auf dem Wagen. Heute fahre ich nachts. Das öde
Rattern ist Musik, der klierige Geruch verheißt Unaussagbares. Zu Hause
bleiben die Sorgen. Zu Hause habe ich keine Sorgen? sagt ihr. Ich HLtte
es selbst gesagt? Nun wohl, ich weiß sehr gut, daß es keine Sorgen gibt.
Daß die Sonne jeden Tag aufgeht, daß jeder Tag den vorigen Lügsn straft,
daß Sorgen nichtig sind, daß es ziemt, zu leben und zu wirken und nicht, zu
spekulieren oder zu rechnen. Aber hebe dich einmal aus dem Wust und
Drang der vielen Wochen einerleiigen Tuns und Geschehens, drück dich
einmal frei in die noch so schäbigen Kissen eines tüchtigen Schnellzugs,
wisse: drei freie Wochen nun, und morgen lache ich einen holländischen
Kondukteur an — dann weißt du gleich: doch gibt's Sorgen zu Hause.
Oder war dir zu Hause je so leicht wie nun?

Die halbe Nacht vergeht unter Gesprächen mit Fremden. Die alte Er°
fahrung wiederholt sich, daß wir mit Fremden oft recht aufgeschlossen, wie
„vertraut", reden. Das dünkt einen ein Rätsel. Aber die Lösung ist leicht:
Verschlossen und verhehlend sind wir aus Furcht, wie wir denn tausenderlei
Verhaltungen auf Furcht zurückführen müssen. tzier ists Furcht: der An-
dere. gerade wenn er uns näher steht, möchte unsere Offenherzigkeiten
mißbrauchen; sie ist käum berechtigt, denn „Mißbrauch" könnte uur schaden.


Aprilheft <XXXV», 7)
 
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