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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1924)
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Trentini, Albert von: Berg
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0150

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Berg

^^vossa war ein sarmatisches MLdchen - unmittelbar aus dem Osten her--
^ Uübergekommen. Zufall hatte uns einander in den Weg geführt,- vor dem
^-^Bilde Lorenzo Lottos „Die drei Philosophen" — Ivossa war Malerin,
und was für eine! — an einem Septembermorgen. Wenige Wochen später
schon trat Ivoossa abends von der Staffelei, weg auf mich zu, der mit unge-
heurer Lust zugesehen hatte, wie sie, ohne es zu wissen, drei Bäume, dis
auf einem Hügel standen, geradezu in das Beisammen- und Nebeneinander-
sein aller Geschöpfe hineinmalte, legte mir ihre vierundzwanzigjährigen
Hände auf meine viel älteren Schultern, und sagte: „Franz, du mußt mir
die Welt zeigen!" — »Ivossa", lachte ich, ihre Augen standen groß und sehr
blau in ihrem weiten Gesichte, und diese Augen gefielen mir, „meine Welt
ist meine Welt! Nur diese kann ich dir zeigen!" — „Die will ich!" — Ich
schaute auf die drei Bäume hin, die leicht bestätigten, daß der Grund von
Ivossas Wesen dem des meinigen nicht fremd war, und begann noch am
selben Abend, ihr zu zeigen, wie ich mir „Alles vorstellte". Zuerst gab es
freilich Schwierigkeiten: Ivossa hatte gierig die Philosophen gelesen und
verlanate daher „Erkenntnis"; ich hatte sie auch gelesen, dann aber entschlos-
sen weggeworfen und mich auf das zurückgezogen, was ich als Sinn des
Lebens aus meinem eigenen Leben herausraten konnte. Das erklärte ich
ihr,- sie beugte sich; und von diesem Augenblick an stürzte sie sich in meine
Welt. Es wurde ein Winter, wie ich noch keinen erlebt hatte. Ivossa, von
meineu „Vorstellungen" bekräftigt, malte von Tag zu Tag bewußter, was sie
darstellte, in das Aniversum hinein; ich, von der Gewißheit der irdischen
Erscheinung bestätigt, die sie demütig treu in dies nur geahnte All hinein-
malte, fühlte mich gezwungen, was zum Teil noch verschwommen in mir lag,
weil es noch uiemals mit Verantwortung war ausgesprochen worden, so
klar ins Gehirn zu bekommen, daß ich es jedem Kinde hätte anschaulich
machen können. Bei Gott: bis in den April hinein arbeiteten wir so gut wie
ununterbrochen Tag und Nacht; es war mein schönster Winter, Ivossa, und
du, hoffe ich, mußt ihn auch nicht bereuen!

Nun war er zu Ende, sogar schon der Mai da, und wir saßen auf der
Parkterrasse eines großen Hotels mitten in der Stadt. Hatten zu Abend
gegessen, und schwiegen nun. Ivossa war müde. Ich war müde; zum
erstenmal fühlten wir, daß wir von unserem Winterspaziergang wohl mit
dem Glück des Erfolges, aber erschöpft zurückgekehrt waren. Eine Stunde
lang mochten wir so vor uns hingebrütet haben, in dieser Luft, die nicht
anpackte, in dieser Musik, die auflöste, unter diesen zerstörenden Mienen,
Tönen und Gebärden der unzähligen Menschen, als Ivossa ihre Augen heftig
aufschlug uud, ohne zu reden, mit diesen Augen mir sagte: „Nun, was
sagst du? Erkennst du auch nur einen einzigen Splitter der Welt, die wir
fanden, ringsumher da? Was siehst du? Sie haben keine Ahnung! Nnd sie
wollen keine haben! Liebespaare ohne Liebe! Ehepaare ohne Ehe! Kinder
zu Hause gelasseu, oder der dümmsten Verführung aufgewartet! Reiche bei

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Iuliheft,92-, (XXXVII, ,o)
 
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