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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1924)
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Meissinger, Karl August: Süddeutsche Gedanken über Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0023

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Süddeutsche Gedanken über Berlin

^?^ie Reise nach Berlin bedeutet für unsereinen, der nicht eben häufig
^ Idort etwas zu suchen hat, immer wieder eine Fülle starker Eindrücke.

Zumal heute. Die weltgeschichtlichen Veränderungen, durch die die
Nation hindurchgegangen ist, dringen plastischer als sonst irgendwo auf dis
empfänglichL Phantasie ein.

Dem Süddeutschen gab Berlin als Mittelpunkt des Rsiches schon vor
dem Krieg einen eindringlichen Geschichtsunterricht. Die Vorgänge, die
Zu dieser Verlagerung des deutschen Schwergewichtes gesührt hatten, waren
so verwickeltsr und zum Teil gewaltsamer Natur, daß sich notwendig auch
ein verwickeltes inneres Verhältnis des südlich und westlich empfindenden
Deutschen zu dieser seiner Hauptstadt ergeben mußte — ein Verhältnis,
das geistiger und bewußter sein mußte als in anderen Ländern, die eine
natürlichere politische Vergangenheit haben.

Preußen war immer der Staat der harten Arbeit, der die arme Mark
Brandenburg ihren Ausstieg dankt. In der Hauptstadt potenziert sich dieser
Arbeitsgeist zu einer Art Brutalität gegen sich selbst uud gegen Andere.
Der kategorische Imperativ ist ein preußisches Gewächs, und er zeigt sich
hier noch weiter als bei dem großen Gesetzgeber selbst von Musischem und
Eraziösenr entfernt. So banal es klingt: es ist, als ob die herbe Luft der
Kapitale geschwängert wäre mit einer magischen Energie, dis durch alls
Poren in den Menschen eindränge und ihn mit dieser allgemeinen Ar--
bsitswut behexte.

Arbeit! Leistung! Das ist das Leitmotiv zu allsm, was man in Berlin
erlebt. Schon dieser Anhalter Bahnhof mit seiner nicht schönen, aber impo--
santen, mit einem Wort, urpreußischen Backsteinhalle ist nur einer unter
vielen! Wieviele Hände mögen an dem Bau dieser Berliner Bahnhöse
mitgewirkt haben! Welche Fülle von Organisations- und Herrschtalent,
von Gewissenhastigkeit, Nervsn- und Muskelkraft ist Tag und Nacht nötig,
um dieses ebenso kolossale wie feingegliederte Verkehrswesen in geordnetem
Gang zu halten — vollends in diesen letzten Iahren. Hier ist deutsche Sub-
stanz, unzerstörbar!

Der Zug ins „Kolossale" war es, der den ganzen Aufbau des kaiserlichen
Berlin beherrscht hat. Gewiß war das alles schon in dem königlichen Verlin
vorbereitet; man umschreite nur das massenhafts Rechteck des Königlichen
Schlosses, das tiefgrau von den Schicksalen zweier Iahrhunderte dasteht.
Gewiß sind auch andere Weltstädte ebenso ungeschlacht ins Kraut ge-
schossen: notwendige Folge von Industrie, Handel, Verkehr, Organisation
des neunzehnten Iahrhunderts, Folge der ungeheuren Anhäufungen von
Neichtum und Macht in den Zentren neuen Stils. Aber hier in Berlin
ist doch noch etwas spezifisch Wilhelminisches an der Arbeit gewessn.
Da steht bei dem bescheidnen Palais des alten Wilhelm das Denkmal
^riedrichs von Rauch. Schlicht und selbstbewußt zugleich, ganz prosil,
6anz Ausdruck. Das ist die alte Zeit. Wenige hundsrt Schritte davon die
^olossalanlage des Denkmals Wilhelms „des Siegreichsn"! Welch ein
Vvschütternder Kontrast! Der liebenswerte, s7c)7 geborene Herr, der hier
vne auf allen ssinen hundert Monumenten mit einer unentwegten Bon-
homie zn Pferde sitzt — er war bekanntlich nie ein sportmäßiger Reiter —,
schemt gegen den Schwulst um ihn her zu protestieren. Zu seinen Füßen
aber der dicke Mars, dieser erzgeschiente Itnhold mit seinem finsteren und
 
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