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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1924)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Der Spielplan eines modernen Stadttheaters
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0256

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Der Spielplan eines modernen Stadttheaters

^tV^ährend die Bühnen der Weltstädte sich den Luxus leisten können,
^/D^mit ihrem Spielplan das Interesse ganz bestimmter geistiger Schich-
ten der Gesellschaft, der breiten Menge oder der geistigen,Ober-
schicht zu berücksichtigen, müssen die Stadttheater einer mittelgroßen Stadt
sämtliche Schichten des Publikums gleichermaßen zu gewinnen trachten und
den Freunden der Bühnenkunst Gelegenheit geben, die dramatische Lite-
ratur aller Zeiten und Völker, soweit sie aus die deutsche Bühne überhaupt
Zugang gefunden hat, wenigstens in ein paar vorsichtig ausgewählten Pro-
ben vorzuführen.

Diese Aufgabe zu bewältigen, ist unendlich viel schwieriger, als einen
Spielplan auf Expressionismus, Naturalismus oder modernen Schwank
zu stellen. Es ist zunächst etne dramaturgische Vorarbeit nötig, die undank-
bar und wertvoll zugleich ist. Andankbar, weil aus einer höchst umfang-
reichen Lesearbeit nur eine sehr kleine Auswahl sich ergeben darf, und wert-
voll, weil die ganze Fülle der mit der Spielplanbildung zusammenhängenden
Fragen überblickt und beherrscht werden muß, damit die Auswahl nicht nur
literarisch wertvoll, sondern auch für das Theater wirklich brauchbar werde.
Stadttheater pflegen fernerhin im allgemeinen keine so großen Zuschüsse
zu erhalten, daß sie sich ohne Rücksicht auf die Abendkasse führen lassen.
Es gesellen sich also zu den Rücksichten auf die verschiedenen Ansprüche des
Publikums die Rücksichten auf die Erträgnisse des Anternehmens, Lie
Zugeständnisse nach jener Seite des Theaterspieles, welche gemeinhin mit
Kunst nicht mehr allzu viel zu tun haben. Endlich muß der Dramaturg einer
städtischen Bühne dauernd Rücksicht nehmen auf die Leistungsfähigkeit der
Darsteller, auf die Größe und Zusammensetzung der Darstellerschaft und
auf die technischen Einrichtungen und den Fundus der Bühne. Es ist an
sich ein Unding, daß ein und derselbe Schauspieler heute Shakespeare, mor-
gen Strindberg, heute Schiller, morgen Shaw, heute Kleist, morgen Kadel-
burg, heute Kotzebue, morgen tzasenclever oder Werfel spielen soll. Die
Entgegnung, daß es eben zum Wesen des Komödianten gehöre, sich in
jeder beliebigen Weise umzustellen, Tempo und Höhenlage seiner Rede
und den Rhythmus seiner Bewegungen beliebig verändern zu können, ist
nicht stichhaltig. In den Zeiten einer geschlossenen schauspielerischen Kultur
war das vielleicht möglich, in unsern Zeiten toller Stilvermengung und
Stilzersplitterung aber könnte nur von einem ganz universal gebildeten und
geistig proteushaften Menschen die Fülle der inneren Gesichte und die
vollkommene Beherrschung seiner Mimik erwartet werden, die nötig ist,
um allen Aufgaben eines aus der dramatischen Literatur von Iahr-
hunderten zusammengestellten Spielplans gerecht zu werden. Und es er°
scheint sogar fraglich, ob eine solche Verwandlungskünstlerbegabung gerade
zugleich die bedeutendste darstellerische sein würde!

Gelingt es einem Dramaturgen, die Ausdrucksmöglichkeiten seiner Dar-
stellerschaft und die technischen Möglichkeiten seiner Bühne mit den Be»
dürfnissen der Zuschauerschaft und den Ansprüchen der Theaterleitung
an den Ertrag der Bühne einigermaßen in Einklang zu bringen, so ergibt
sich vielfach das betrübliche Bild eines buntscheckigen Spielplans, in dem
mit dem besten Willen keine künstlerische Grundlinie mehr gefunden werden
kann. Ist denn aber solche Kunstpolitik, ist eine „Richtlinie" in einem
allen Bedürfnissen gleichmäßig dienenden Theater überhaupt möglich und

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