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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 7 (Aprilheft 1924)
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Meissinger, Karl August: Süddeutsche Gedanken über Berlin
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Fuchs, Emil: Kant und Wir: zu Kants 200. Geburttag: 22. April 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0028

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Ausdruck deutschen Geistes, wie es Pariser Esprit für den sranzösischen
Geist geworden ist. In Mittel--, Süd-- und Westdeutschland, auf weit älte-
rem deutschem Kulturland, ärgert oder amüsiert man sich über ihn. Der
französische Nationalcharakter, teils Voraussetzung, teils Folge der fran-
zösischen Geschichte, war aus eine solche tyrannische Äberentwicklung der
Kapitale angelegt- dem Deutschen kommt hier seine politisch unglückselige
Zerissenheit zustatten. Das Äbergewicht von Paris entsteht im organischen
Zusammenhang mit dem absolutsn Königtum. Seinen Gipfel erreicht es
zur Zeit einer glänzenden Kulturepochs. Berlin wurde mächtig in einer
Zeit der Kultur s ch w ä H e. Wohl haben die politischen Amstände mächtig
mitgewirkt. noch mehr aber der großartigs Zufall, daß das preußische Zen-
trum ungefähr da liegt, wo sich die kürzesten Verbindungen zwischen London
und Warschau, Paris und Moskau, Kopenhagen und Wien-Triest, Hamburg
und Krakau und die großen Wasserverbindungen treffen.

Diese wesentlich geographisch-wirtschaftlichen Arsachen der Äberlegen-
heit Berlins nimmt ihr viel von ihrer Gefährlichkeit für den deutschen Geist.
Ansere Talente werden sich wsiter in der Stille bilden, nicht im Strome
der Weltstadt. Die Dynastie, die ein politischss Interesse an dem Hochmut
der Residenz hatte — der richtige Berliner wußte wie Wilhelm II. über
jede Kunst und Wissenschaft Bescheid! —, ist gsgangen und wird schwerlich
wiederkommen. Das Verhältnis Deutschlands zu seiner Hauptstadt wird
immer mehr ein republikanisch-gesundes werden, und wenn einmal die
neue Blüte des deutschen Geistes kommen sollte, die nach dem gegsnwär-
tigen Elend zu erwarten steht, wird allmählich der Rest von Anerträglichem
ausgeschieden werden. Das militärüberdeckte geistige Preußen mag sich
Hervorwagen. K. A. Meißinger

KanL und wir

Zu Kants 200. Geburttag: 22» April 1924
?.

us einem Zeitalter des Gedankens steigt Kants große Gestalt auf.

8 Sehr kluge Gedanken dachten seine Zeitgenossen, und sie wußten ganz
genau, wo ihre Vorfahren Falsches gedacht hatten. Von vielen Bin-
dungen und Vorurteilen dachten sie sich kritisch frei. — Doch sie merkten
nicht, wie sehr sie da gebunden waren, wo aller Gedanke anfängt. So
gewohnt waren sie der Gedankengrundlegung uralter Äberlieferung, daß
sie daran nicht rührten.

Die „Gottesbeweise", die in nichts zerflattern, wenn das Bewiesene nicht
schon vorher dem Beweisenden fest steht, hatten für sie eine überwältigends
Krast, denn der Gottesbegriff gehörte ihnen zu den unerschütterlichen
Grundlagen ihres Geistes.

Ordnung, Zusammenhang, väterlich vorgerichtete Nützlichkeit der Welt
für den klugen Menschen waren ihnen selbstverständlich behagliche Gewiß-
heiten. Das Gesetz von Nrsache und Wirkung und all die kleinen und
großen Erkenntnisse der Weltordnung empfanden und behandelten sie mit
so unfehlbar kindlicher Sicherheit als weltumfassende, weltgründende ab-
solute Wahrheit, daß hier keine Nnruhe kam.

And als man schließlich vor und während der französischen Revolution
anfing, an der selbstverständlichen Wahrheit auch des Gottesbegriffs und
der Gottesbeweise zu zweifeln, da geschah es durch ein Denken, dem diese

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