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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 10 (Juliheft 1924)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0181

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kaufen würde; und es bewerst noch weniger, daß eine große Industrie, die
einen Volksruf zu wahren und zu fördern hat, sich leichthin dem Schlaf in
schlechter Tradition überliefern dürfe . . .

Und Wien? Nein, Wien und feine vollendet schönen Lrzeugnisse, diese
reifste und geschmackvollste deutsche Textilkunst von allen, die haben nicht
wir vergessen, sondern die Leitung der Ausstellung! Das ist ihr befremd--
lichster Mangel. Seit mindestens der Münchener Kunstgewerbeschau ist es
doch schließlich am Tage, daß einer deutschen Kunstgewerbeschau ohne Wien
— die Krone fehlt; daß kein Zentrum der ganzen Industrie, dem ganzen
Schulwesen und Handwerk so eindringliche Anregung geben kann wie Wien,
das wir schon um dieses Nmstands willen, geschweige denn aus Volks-Höf-
lichkeit bei jeder Gelegenheit feierlichst einladen und begünstigen sollten . .
Dies also wurde versäumt.

Als Ganzes aber leidet diese Textil-Ausstellung nicht unter grundsätz-
lichen Mängeln. Im schlecht- und rechten Zusammenspiel von Organisation,
Industrie, Schulwesen und Künstlerschaft ist ein Schaubild entstanden, das
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lehrreich genug darbietet. Die
unwiederholbare Vergangenheit einer überlieferungtreuen und langsam sich
fortentwickelnden, vollwertigen Volks- und Bürgerkunst. Die Gegenwart
einer noch immer unorientierten, selten schlechtwilligen, oft fehlgreifenden,
zuweilen verantwortungsbewußten und weitschauenden, geistig mündigen
und interessierten Industrie wie eines zur Praxis durchgedrungenen, Lünkel-
und mätzchenfreien Künstlertums. Die Zukunft — ? Es ist erlaubt zu hosfen:
daß diese beiden enger und enger sich aneinanderwerken und -schließen und
gemeinsam unserm Kleid, unserer Wohnung, unserem Stoffschmuck und
Webzierat eine Kultur geben werden, welche neben der vergangener Zeiten
bestehen und unser sein wird. Sch

Vom Aeute fürs Morgen

Aesthetisch Lied, ein garstig Lied

ie Leute, die bei uns über den Wert
einer dramatischen Produktion sich
und anderen ein Arteil zu bilden pfle-
gen, sitzen meist mit einer ästhetischen
Einstellung im Theater. Oder vor dem
BuH. Me Vegriffe Stoff und Form
führen ein Sonderdasein in ihren Hir-
nen, jener als ein leider unvermeid-
liches Ingrediens, diese als ausschlag-
gebender Gradmesser. Dramatische Pro-
duktion wird zuvörderst als „Kunst" ge-
wertet. (Freilich auch von den meisten
Autoren. Von dieser Seite gelegentlich
sogar als Kunststück.)

Und will doch Schauung sein. Die
sich an das ganzmenschliche Er-
leben wendet. Nicht nur Objekt für fach-
nrännische Beurteilung und Klassifizie-
rung. Sie will nicht „Kunst" sein,
sondern Tat schlechthin, Wahrheits-

suchen, gemeinsam miterlebt von tau-
send Menschen.

Der Maßstab: Würde ein Stück
es ertragen, wenn vor Aufgehen des
Vorhangs die Stimme eines Unsicht-
baren mit Bezug auf das Spiel durch
den Raum riefe: Ecce homot? Sehet,
das ist Menschsein!?

Nicht zu verwechseln mit dem billi-
geren: SHaut, so sind die Menschlein!
(Species homo sapiens.)

Am allerwenigsten zu verwechseln
mit der Wichtigkeit, die einem Stück zu-
kommt, in dem irgendeinem „Problem"
„neue Lichter aufgesetzt werden".

Z e i t förderlich sind auch die letz-
teren beiden Arten, als Diskussions-
herde. Dauerdasein fristen sie nur für
den Kulturhistoriker.

In der ersten Gattung aber rinnt
wie in einem Brennpunkt das Ethos
 
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