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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 9 (Juniheft 1924)
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Trentini, Albert von: Väter und Söhne
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Bekker, Paul: Richard Strauß: zu seinem 60. Geburttage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0113

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Schritt dieser Entwicklung wertlos oder ihm zuwider war; und noch alles

als Gut ausgeschieden und aufgenommen worden, was diesem Schritte

gemäß war. So daß nichts anderes die Pflicht der Väter sein kann gegen--

über den Söhnen, als: zu trachten, daß sie lebendig erhalten, was

den Söhnen schon Leichnam erschien; und Pflicht der ^Söhne: lebendig

zu machen, was die Väter für Totgeburt hielten. Denn daß alles wahrhaftig

Lebendige sich einmal begegne und, kaum begegnet, vereine, — daran

könnten sie Beide im Innersten nur zweifeln, wenn sie mit Blindheit ge-

schlagen wären! . rr, ^ ^

^ ^ ^ Albert Trentrni

Richard Strautz

Zu seinem 60. Geburttage

gibt Künstler, deren Gestalt steht in einem einzigen Altersbilde vor
R^l^der Phantasie, als wären sie nie jünger, nie älter gewesen. Dies
^^gilt Nicht nur für Erscheinungen der Vergangenheit, denen gegenüber
die Zeitliche Entfernung die Vereinheitlichung bewirkt, es gilt auch für
solche, die in Wirklichkeit vor unseren Augen gestanden haben. Mahler etwa,
oder Reger zeigen nur geringe Unterschiede in den Bildern der verschiedenen
Lebensalter. Ihr Werk ist ein Ganzes, ein starker, in fast gerader Rich-
tung sließender Strom. Aus dieser Totalität des Werkes formt sich das
eine, totale Bild auch der menschlichen Erscheinung, die nur -Hhsiognomisch
geprägtes Symbol dieses Schasfenskomplexes ist.

Dir Erscheinung eines Richard Strauß läßt sich nicht auf diese ver-
einheitlichende Maske bringen. Da ist der ganz junge, aus zünstiger Enge
zum Wagnertum herübergezogene Schwärmer und Enthusiast der sinfoni-
schen Fantasie „Aus Italien", da ist der naturalistische Stürmer von „Tod
und Verklärung", da ist der rücksichtslose Autokrat des „Heldenlebens", der
spielerische Artist der „Ariadne", der ästhetisierende Formenkünstler der
„Frau ohne Schatten", der skeptische Weltmann der letzten Iahre. Soviel
Stadien, soviel Gesichter, der Ausdruck wechselt ständig wie das Ziel wech-
selt, der Mensch dahinter ist kaum zu erfassen. Nur das große, genialisch
bestimmte Talent bleibt das gleiche und dieses eigentlich ist >es, das das
Sein und Werden dieser Persönlichkeit bestimmt. Ein Musiker von außer-
gewöhnlicher Tragkrast und Elastizität der Begabung, gestellt in eine Zeit,
die nichts verlangte als eben Begabungsproduktion, die die Zielsetzung haßt,
die Aberzeugung belächelt, die Persönlichkeit als mißliebig empfindet, das
Talent aber feiert und verhätschelt — das ist Strauß, das Weltkind der
Nur-Talent-Zeit. Ein großer Künstler, wenn wir den Begriff der Größe
im geistig-quantitativen Sinne erfassen, das Beste, was eine ideenarme Zeit
als Gestaltwerden ihres Willens aus sich herausstellen konnte. Von Weimar
und dem Meiningen Bülows über das München Possarts nach dem Berlin
Hülsens und dann nach dem Wien der Nachkriegszeit — es ist die Lebens-
unid Schicksalslinie eines Teiles deutschen Geistes, die sich an dieser Folge
der Stationen spiegelt. Ie mehr wir die Künstlerschaft, das naive gesunde
Musikertum dieses Mannes, die hohe Stuse seiner formalen Kultur erken-
nen, um so mehr rückt seine Erscheinung in das Bereich des Historischen, er-
scheint dies alles wie ein Traum, den wir selbst mitgeträumt haben und aus
dem wir erwacht sind zu einer neuen, lebendigen Wirklichkeit.

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