Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1924)
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Sommer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0204

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



Sommer

kann sagen, wo er beginnt und wo er aufhört. Breit über--
1 schwemmt er das Iahr mit Glut und Grün. Ist e r das schon, der den
^Pflaumenbaum anhaucht, nachdem ihn der Frühling besternt hat, so
daß sich seine Gestirne träumerisch lösen und langsam niedergleiten auf den
Kiesweg, weiß, wie das zärtliche Gefläume aus der Brust eines Schwanes?
Ist er das schon, der eine warme Hand nach zähen, winteralten Efeuranken
ausstreckt und sie verlockt, mit jungem glattem Grün ihn zu bekriechen? Und
ist er das noch, der die Früchte des Birnbaums, wenn er sie monatelang
umschmeichelt hat, bis sie die kindische Steife ihrer Stiele neigen mußten,
bis sie errötend ihm entgegentropften, ist er es noch, der ihren schweren
Niederfall mit seiner braunen Brust auffängt?

„Sommer". Sein Name schon füllt unseren Mund mit Rundheit und
Wohllaut und verschwingendem Traumgesumm. „Sommer". Wenn man
ihn denkt, stehen hundert Gedichte auf.

Der deutsche Sommer schlief, als wir am Ofen saßen, am Rande der Wüste,
tief in glühenden Sand gewühlt. Um sein tzandgelenk hatte er die Schwal-
ben gebunden, damit er erwache, wenn sie die Frühjahrsreise begännen.
Er löste sie, als er sie an den Fäden zerren fühlte, und sah ihnen
nach. Er dehnte sich noch einmal und stand dann langsam auf. Ein
Strom vorr Glutsand floß aus seinem Mantel. Er setzte den Fuß nach Sizi-
lien hinüber, und goldener Staub aus seinem Kleidsaum beschüttete die
Orangengärten. Er wanderte langsam gesenkten tzauptes über Italien und
überstieg mühevoll die Alpenwand. Dann sah er auf und breitete die Arme
aus, und unter seinem sanften Anhauch wurde das Kornfeld sommerlich,
ein silbern überwelltes Meer, aus dem die tzitze in schwingenden Atem-
Zügen Brotgerüche saugt.

Rittersporn zittert in den Halmen, als habe der Lerchenge-
sang ein Stück Blau kraus aus dem mittäglichen Himmel ge-
schnitten und ins Feld geworfen. Der Mohn steht darin wie Äber-
fluß von Liebe, die die unruhvollen, viel zu kleinen Gefäße der tzerzen
nicht mehr halten konnten, als der Gott zur Nacht sie füllte. Rostiger Klee
verblüht an den beschnittenen Rainen, und die unsichtbaren Grillen schreien
licht in den lichten Tag. Wenn der Abend schon durch die Lspen lief, wenn
die Sonne unterging, verbündet sich die Welt zur Dämmerung, um dich
ZU verzaubern. Die Grillen und das Zwitterlicht und der entsonnte Abend-
duft der Erde verschmelzen zu einem Ton, der zugleich durch Auge, Mund
und Ohr Hineindringt und dich taumeln macht. Geht der Weg bergab?
Ist das noch Weg, den meine Füße gehen, ist es Luft? ist es nichts? Noch
singi hier eine Lerche und später wieder eine, gedämpft wie hinter einer
Wand von SHlaf. Man weiß nicht, ob ihr Traumgesang im vergehenden
tzimmel hängt oder in die warme Ackerfurche geduckt ist. Hie und da gleitet
lautlos eine warme Atemwelle aus dem Felde und tastet dir über Leib
und Gesicht. Das Korn raschelt ohne Wind aus sich selber. Vielleicht streicht
ein fremder Hund hindurch, vielleicht zieht ein warmes kleines Tier auf
uächtlichen Raub aus. Fern im Tümpel quarren vielstimmig die Frösche.

Augustheft (XXXVII, n)

(77
 
Annotationen