Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1924)
DOI Artikel:
Klopfer, Paul: Von der Baukunst und ihren Temperamenten, [1]
DOI Artikel:
Mager, Jörg: Wie steht es um die Viertelton-Musik?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0072

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
weit stärker spricht als in der gotischen; die Pfeiler und dicken Säulen
sind viel deutlicher nur mehr Reste und Äberbleibsel einer in Sffnungen
durchbrochenen Wand, als etwa tragende Bauteile. Aber noch ein Moment
ist schuld an diesem unserem „Untertanengefühl" im romanischen Kirchen--
raum. Das ist die Herrschaft des Halbkreises. Die Gotik fand
für ihre strebenden Kräfte den Spitzbogen, der aus zwei Teilen von unten
her nach oben verläuft, bis die Teile sich schneiden. Der romantische Bogen,
sei er nun über die Säulen und Pfeiler des Schiffes gespannt, oder um--
schließt er die Offnung eines Portales, ja, bestimmt er die Formen der
Verzierungen, vor allem des sogenannten Bogenfrieses, ist der tzalbkreis.
Dsr Kreis ist jene Kurve, deren Punkte alle gleichweit von einem Mittel--
punkt entfernt sind. So drückt er etwas Un-lebendiges, Abstraktes, Schicksal-
haftes aus. Ein Spitzbogen kann mehr oder weniger steil sein, immer
läjzt er eine Kraft nachfühlen. Ein Oval vsrrät im Verlauf der Kurve eine
größere oder kleinere Spannung — ein Kreis oder Halbkreis bleibt immer
Sklave, er kann die Kraft, die er zum Tragen einer Last braucht, nicht
kenntlich machen. Uud wis der Bogen, so das Gewölbe, das auf tzalb-
kreisen aufgebaut ist. Die Kuppel vor allem zeigt diese abstrakte Ruhe,
an der nichts zu rütteln und von der nichts zu wünschen ist.

Diese Formen sind in die romanische Kultur vom Orient gekommen.
Dem cholerischen Temperament vsrmählte sich früh schon ein anderes,
orientalisches, das schicksalhaft-magisch die Worte des Korans voraus-
ahnte: „Keine Seele kann sterben, außer mit Gottes Zulassung in schrist-
lich dem Zeitpunkt nach bestimmter Weise." Diese Gebundenheit an einen
Willen außer uns, und das Sichfügen darein müssen wir als phlegma-
tisches Temperament bezeichnen. Der Rundbogen ist sein Krite-
rium, aber auch die abstrakte Ornamentik ist es, die Form des Würfel-
Kapitells gehört dahin ebenso wie die Profilierungen in den Gesimsen,
endlich Ler Rundbau als Fürsten-Grab oder Taufkirche schlechthin. Be-
mächtigt sich dieser magisch-phlegmatischen Grundform der abendländisch-
melancholische Kunstwille, dann füllt er die Profile der Rundbogen mit
seltsamem Kraftsymbolismus und haut aus den Säulen und Ecken, die die
schräge Laibung des Eingangs bis zur Tür begleiten, herbe, oft überlange
Figuren aus. (Goldene Pforte in Freiberg, Fürstenpforte in Bamberg.)

Wir sehen, eine so einfache Charakteristik, wie wir sie bei den Bau-
werken der gotisch-melancholischen Kulturen geben konnten, ist uns im
romanischen Stil nicht möglich. Das ist auch nur natürlich, wenn wir
bedenken, wie gerade dieser Stil aus verschiedenen Einflüssen entstanden
ist. Verwandt mit dem gotischen ist er aber doch ausgesprochen in der Art,
wie er gleich diesem den Raum schafft, nämlich durch Aushöhlen.

(Fortsetzung folgt)

Wie steht es um die Viertelton-Musik?

or sieben Iahren brachte ich im Kunstwart einen Aufsatz „Viertel-
tonmusik", in dem der Erfinder eines Viertelton-Harmoniums, Iörg
"^^Mager, die Aufmerksamkeit auf neue, differenzierte Instrumente
und zugleich auf die vielleicht kommende Viertelton-Musik lenkte. Inzwi-
schen hat sich die Lage, die damals für so neuartige Musik nicht allzu
günstig schien, wesentlich geändert. Die Iahrhunderte alten Grundlagen
unserer Musik und Musik-Abung sind ernstlich erschüttert. Das streng

58
 
Annotationen