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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1924)
DOI Artikel:
Hoffmann, Paul Theodor: Religiöses Schicksal: der Bußgang Arthur Schopenhauers
DOI Artikel:
Häfker, Hermann: Die Himmelsdichtung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0261

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die Arme wirft, kann bestenfalls rückwärts gewandt im Vergangenen selbst
ein beruhigter Vergangener werden- aber er wird zugleich metaphystsch
unfruchtbar. Es bleibt nur eine Möglichkeit: unsere Lage, wie,sie ist,
Zu sehen, zu fühlen, zu leben und aus ihr selbst die Wahrheit heraufzu-
holen: Stück für Stück, mühselig und bescheiden. Diese „Wahrheit" ist erst
im Werden und ist doch da: Goethe, Hebbel, Hölderlin, Nietzsche und ihnen
ebenbürtig Verwandte haben sie in vielen Wendungen und Windungen
ausgesprochen: noch lebt sie halb erst erkannt, halb erst bejaht — aber ihr
Tag, ihre volle Entdeckung wird einmal kommen.

Und daß sie bald komme, das ist der kategorische Imperativ, der für
alle heute kirchlich-irreligiös Gewordenen gilt; denn sie sind für den neuen
Blutstrom des Lebens frei geworden. P. Th. Hoffmann

Die Himmelsdichtung

Aus der einen Grundempfindung, daß die zahlenmäßige Erfassung des
Zeitbegriffes unermeßliche Klarheit in Menschenherz und -hirn ergoß,
entwickeln sich drei Märchenmotive. Die Zeit vordem, die unermeßliche,
wird zum Begriff des Menschengrausens überhaupt, zum Begriff alles
dessen, was sich geistiger und damit stofflicher Erfassung widersetzt, und,
so bleibend, das Hirn des Erwachten zum Wahnsinn treiben würde.
Zuni Begriff des Ungeordneten, des Ungeschiedenen, der Unordnung
selber, des Chaos, des Tohuwabohu. Es verbindet sich mit der stofflichen
Vorstellung eines unermeßlichen Urmeers, das wie der in der Gestalt
einer Schlange, eines Drachen, eines unbeschreibbaren Untiers oder Un-
geheuers faßbar zu machen versucht wird. Es ist das Tohuwabohu, die
Urfinsternis der Bibel, die Tiamat Babylons, der Typhon und das Ehaos
der Griechen. Daneben taucht die Vorstellung des uralten Chronos auf,
der Kind auf Kind erzeugt und wieder in sich hineinschlingt. Die Äber-
windung gelingt. Das Siegende ist unwiderruflich verbunden mit der
Vorstellung des Lichts, der Klarheit, der geistigen Kraft, Helle nnd Heiter-
keit — irgendwie verbunden mit einem siegreichen Kampf, mit Fesselung,
Tötung, Zerteilung des Ur-Ungeheuers, eines von der Fieberkugel des
Monismus rettenden, Sprache, Gedanke, Zahl gebärenden Dualismus.

Diese Grundanschauung: „Unsre Welt, unsre Heimat, ist die Klarheit,
das Licht, die Denkbarkeit, die Ordnung; alles Lebens, aller Hoffnung Feind,
aller Geistesschrecken entsetzlichster ist die unlösbare Unordnung" — ist in
mancherlei Sternbildern erhalten. So erinnert daran (um nur Beispiele zu
nennen) der Steinbock („Ziegenfisch"): die Gestalt, die Pan bei der durch
den Anblick des Typhon ausgelösten Flucht der Götter in namenlosem Ent-
setzen annahm, oder die Fische: die Verwandlung von Aphrodite und Eros,
als der Typhon aus den Fluten des Euphrat auftauchte. — In dem nun
„Geschichte" gewordenen Ringen der Menschheit taucht aber der Urschrecken
immer wieder auf in der Gestalt der Ungeheuer, Riesen, Pferdemenschen-
geschlechter, die Herkules und die andern Helden, vor allem aber Zeus und
die Seinen im großen Chronos-Titanenkampfe zu bestehen haben. Darum
sind so zahlreich die Helden- und Ungeheuergestalten am Himmel: in jedem
von ihnen drüut und blinkt aufs neue der alte Zeitschrecken und der große
Himmelssieg.

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