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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1924)
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Bruns, Marianne: Frühling
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0065

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Frühling

begann in diesem Iahr so: Die Sonne glänzte mit kaltem Gelb über
^IIeine hohe, fensterlose Hausmauer, die unten von kahlem Wein umrankt
^^war; ein alter Mann stand aus einer Leiter und beschnitt die Ranken.
Seine Haare silberten im Licht und die große Schere schnippte in Abständen.
Dieses Scherengeräusch blieb ein paar Tage in meinem Ohr und sagte:
Frühling. Darauf sang die Amsel im Schneegestöber so laut, daß es uns
durch Doppelsenster und Winterkleider ins Herz fuhr: Frühling.

Erste Wärme dringt an. Die Erde saugt Schmelzwässer ein und duftet.
Die Schrebergärten riechen nun — darf ich sagen: laut? — nach altem
Mist und Stank, den der Frost so lange im Bann hielt. Die Gartenliebhaber
tragen Stulpenstiefel und Ioppen. Sie stiefeln breitbeinig an den Nach--
barzaun, ohne den Pfeifenkopf aus der Hand zu lassen. Die nasse Erde
quatscht unter ihnen. Zwischen zwei Rauchwolken sagen sie drei Worte,
die sonderbar wohltuend durch die Sonne gehen: Halbstamm veredeln —
Sie bücken sich und knüllen ein altes Rosenblatt in die Hand — — weisen
auf die Augen des Birnbaums-—

Eine Gärtnerei. Ich bleibe vor dem weiten Beetefeld stehen. Der
Hund an der Kette rast und kläfft, und das ist gut so. Sicherlich wsiß er,
daß ich nicht einbrechen will. Das irrsinnige Bellen gibt nur seiner neuen
Sonnenfreudigkeit Ausdruck. Der Schnee ist in die Erde hineingetaut.
Der Komposthaufen liegt frei. Den Alten, der hier steht, kenne ich vom
vorigen Iahre noch; er stottert ein wenig, blinzelt blauäugig-wohlwollend
— seine rote Haut macht mich vertrauenvoll. Nun sticht er seinen Spaten
in die Erde und zieht ihn blank heraus, gleichmütig Regenwürmer zer--
teilend, die die glänzenden, eifrigen, dummen Hühner mit Gackern ihm
neben den großen Füßen aus der Erde zerren. Die goldenen Strohhalme
im Mist, der Spaten, die Hühner, die klitschigen Schollen: alles liegt in
Glanz. Ich atme auf und sehe weit über das Land, das sich eben in den
Horizont dehnt. Ich sehe weiter als ein Auge trägt, sehe vor jedem Guts-
tor und in jeder Hüttentür bedächtige Bauern, sehe sie den Pflug aus dem
Schuppen rackern, mit kargem „Ho" Pferd oder Kuh anspannen und mit
schütternden Armen die Pflugschar in das Erdreich drücken. Ich sehe den
goldenen FLcher der Samenkörner sich zärtlich aus ihren schwieligen Händen
spreiten und höre das leise Rieseln, wie die Körnerwolke in die Furche
fällt: Frühling. Das gibt es also, das läuft über all diese großen, stillge-
dehnten Flächen hin, die zwischen Stadt und Stadt sich breiten und die
man tausendmal vergißt: läuft, von vereinzelten Menschen getragen, feier--
liches, fremdartiges Tun, das ihnen Alltag ist und uns ernährt.

Zurück zur Stadt.

Auf dem hübschen, hellgrauen Asphalt drehen sich die bunten Kreisel.
Die Kinder haben frische weiße Schürzen um und kreischen mit hohen
Stimmchen. Auf der Straße spielen können, keinen Mantel tragen müssen
und barfuß oder in Wadenstrümpfen gehen, das ist ihr Frühlingsglück.
Die Großen machen alles rein, putzen alle Fenster blank und legen sich am
Sonntag weit hinaus. Die angenehmen Frauen in den abgetragenen
Kleidern, die mit den Kindern durch die Anlagen gehen, entblößen ihren
Hals zum erstenmal seit Monaten, und er jst zart und blaß wie ein Keim,
den welkes tzerbstlaub zugedeckt hatte. Die unangenehmen Frauen, die fett-
fußig und seidenstrümpfig, schnatternd und blinkernd die Paradestraße ent--

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