Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1924)
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Sommer
DOI Artikel:
Eisler, Robert: Bilddeutung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0207

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ausblasen mit seinem Nachbarn über die Hühner. Eine Plumpe kreischt
von ferne dazwischen.

Hoch über dieStadt hebt sich der Sommer, und immer noch fallen letzte
Farben aus seinem Mantel: An allen Straßenecken stehen Karren; die
sind beladen mit roten Kirschen und Möhren, mit blauen Beeren und krau-
sem Salat und knirschend-grünem Gemüse. Ein armer Mann geht wie ein
verirrter Herold des Sommers durch die kühlen Höfe und hebt die Hand
an den Mund und hebt das Gesicht zu den grauen Mauern und singt mit
auf- und abgehender brauner Kehle in jedem Hofe denselben kündsnden
Gesang: „Kirschen! süße Kirschen! Salat! schöner frischer Salat!" Die
Maueru nehmen den Schall gut auf, freche Kinder äffen den Herold nach:
„Kirschen, süße Kirschen!« und so sprenkelt sich derSommer iu die farbloseStadt.

Es kann dir auch geschehen, daß du eine glühende Steinstraße entlang
gehst und ein altes Tor geöffnet siehst, aus dem dir Kellerkühle entgegen-
schlagt. Du trittst aufatmend in den steinernen Flur und siehst hinten durch
die Wölbung des zweiten Tores besonntes Grün. Da hält im Hofe ein
Holunderbaum seine weißen Blütenteller in die Sonne, daß sie starken Gs-
ruch ausströmen. Einen Augenblick scheint es dir, als säße im Machandel-
boom der schöne bunte MLrchenvogel und sänge:

„Mein Mutter, die mich schlacht,

mein Vater, der mich aß,

mein Schwester das Marlenichen —

Kywitt, kywitt, wat förn schöön Vagel bün ick".

Der Sommer sitzt auf dem Rathausturm und stößt glühenden Wüsten-
hauch über die Dächer. Da beginnen die Menschen aus der Stadt zu ent-
fliehen. Sie bevölkern angelnd den grünen Flußrand. Sie werfen sich in
alle Gewässer; sie gehen in den Wald, um die kühle Nacht am heißen Tage
aufzusuchen, die enggefaltet unter den Bäumen ruht. Einige setzen sich
in Züge und reisen bis an den äußersten Rand der sommerlichen Erde:
Bis dahin, wo das Meer beginnt; über das Meer hat der Sommer nicht
Macht, oder bis an den Fuß der steinernen Berge, die ewig beeist verharren.

Und der Sommer fährt von der Iagd auf die Menschen in den Himmel
empor; er schüttet Glut in die Gewölke, daß sie hin- und wiederrasen und
sich schwer zusammenballen. Er rafft sie wie Bälle; jedesmal, ehe sie don-
nernd aneinanderprallen, sieht man das glühende Geäder an seiner Hand
kurze Zeit durch den Himmel zucken. Marianne Bruns

Bildderttung

ls wir im vorigen Septemberheft das Dreimänner-Gemälde von
Lotto als Beilage dem Kunstwart mitgaben, haben
^d^wir ihm ein kurzes Begleitwort gewidmet, worin zwei „Deutungen"
des Bild-Gehaltes kurz erwähnt waren. Daraufhin sandte uns ein bekann-
ter Gelehrter brieflich eine Entgegnung mit weittragendem Inhalt, welche
wir im folgenden veröffentlichen. Selbstverständlich wollten wir mit dem
von Herrn Eisler angeführten Worte „gleichviel" nicht ausdrücken, daß
es gleich viel ausmachte, ob das Bild auf bestimmte an Text anknüpfende
Art zu deuten sei oder nur als allgemeines, halbsymbolisches Figuren-
stilleben gelten könne. Dieser Nnterschied ist sehr wesentlich! Die Nnter-
schiede zwischen den uns damals bekannten Deutungen aber waren gering.
 
Annotationen