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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 7 (Aprilheft 1924)
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Schumann, Wolfgang: Reise nach Holland
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Fischer, Eugen Kurt: Lord Byron: zum hundertsten Todestag des Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0017

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Sie klagen, renommieren und streiten. Äber Fragen, die vernünftige
Menschen sachlich erörtern, erhitzen sie sich: Tagesfragen der Politik und
schies gestellte der Moral. Anzufriedenheit und Formlosigkeit umfängt mich.
Es ist niederdrückend. Der holländische Grenzkontrolleur ist bestimmt, rasch,
doch höflich; der deutsche noch rascher, bestimmter — aber auch ungezogen
und „obrigkeitlich". Ich verlasse wehmütig das Land, das eine Geschichte
und einerc Stil hat, und am andern Morgen erwache ich in unserm Vater--
land, das keinen Stil, doch eine Zukunft hat. Line Zukunft! Holländische
Zukunft begreift man nur als fortgeführte Gegenwart, wie holländische
Gegenwart nur als fortgeführte Vergangenheit. Wir aber liegen wieder
einmal in Wehen. Ia, sie streiten bei uns, und es ist übel genug. Doch
wir Nimmersatten kennen auch Hoffnung. Solltest du Mosis Schicksal teilen
müssen, jüngerer deutscher Bruder, selbst du noch — so wird es doch gelobtes
Land sein, das dein gealterter Blick schauen wird; gelobtes Deutschland,
um das wir alle gelitten haben. W. Sch.

Lord Byron

Zum hundertsten Todestag des Dichters

O^rd Byron ist zu betrachten als Mensch, als Engländer und als großes
^E^lent. Seine guten Eigenschaften sind vorzüglich vom Menscheu her-
seine schlimmen, daß er ein Engländer und ein Peer von Eng-
land war; und sein Talent ist inkommensurabel." So sprach Goethe im
Februar s825 zu Eckermann. Immer wieder beschästigt sich der Dichter des
Faust mit dem von ihm gewaltig überschätzten Dichter des Manfred, aber,
so überschwenglich manches seiner Ilrteile auch klingen mag, ihm verdanken
wir doch eine Fülle unbedingt gültiger Äußerungen über den Lord-Dichter,
dessen hoher Stand seinem angeborenen starken Talent so nachteilig wurde,
weil er ihm erlaubte, in seinem Hang zum Bnbegrenzten sich ungefähr
jeden Wunsch zu erfüllen. Freilich sagt Goethe trotzdem: „Alles was er
produzieren mag, gelingt ihm, und man kann wirklich sagen, daß sich bei
ihm die Inspiration an die Stelle der Reslexion setzt. Er muß immer dichten;
und da war denn alles, was vom Menschen, besonders vom Herzen aus--
ging, vortrefflich. Zu seinen Sachen kam er wie die Weiber zu schönen
Kindern; sie denken nicht darau und wissen nicht wie.« „Ihm ist nichts
im Wege als das Hypochondrische und Negative, und er wäre so groß wie
Shakespeare und die Alten."

Byrons Leben wirkte auf die Zeitgenossen fast stärker als seine Werke, und
was er je schrieb, nicht bloß Childe Harolds Pilgerfahrt, kannman zum großen
Reisetagebuch seines Lebens zählen, ausgenommen allein ein paar dramati-
sche Bersuche, in denen er sich zur ichlosen Gegenständlichkeit zwang. Maßlo-
sigkeit, Hunger nach immer neuen Gesichten und Gesichtern, zugleich aber An-
sähigkeit, von einem Erlebniszentrum aus das Geschaute und Geschilderte
zu beherrschen, läßt Byron den Dichtern unserer Tage verwandt erscheinen,
den Dichtern 'und den Feuilletonisten, denn, so verwunderlich es immer
klingen mag, der geistige Abstand von Byrons zu Alfred Kerrs spanischen
Reiseschilderüngen etwa beträgt keinesfalls hundert Iahre.

Gewiß ist Byrons Leben der beste Kommentar zu seinen Werken, in denen
sich Titanismus und Don Iuanerie, Werther-Gesühle und mephistophelischer
Zynismus wunderlich mengen.

Der Vater war ein Wüstling, der tolle Iack hieß er unter seinen Freunden.

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