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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1924)
DOI article:
Fischer, Eugen Kurt: Lord Byron: zum hundertsten Todestag des Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0018

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Der Sohn beknm einen Klumpfuß, eine änßerst zartr Konstitution und ein
reizbares Gemüt ins Leben mit. Im dritten Lebensjahr des Kindss starb
der alte Londoner Lebemann, und die Mutter ging mit dem Kleinen
ins schottische Hochland. Mit Schwimmen, Reiten, Boxen, Fechten Pi-
stolenschießen kämpfte der Heranwachsende gegen seine körperlichen MLngel
an. Zehnjährig erbte er von einem Großoheim eine Peerschaft mit dem
Stammsitz Newstead-Abbey. Wenig später verliebte er sich in Miß Mary
Chaworth, deren Großvater von Byrons Großoheim im Duell getötst
worden war und die als Antwort auf sein stürmisches Werben einem Land-
edelmann in dis — bald sehr unglückliche — Ehe folgte. Immer kehrt der
Nams dieser Frau in Byrons Werken wieder, nicht in der Lyrik bloß, ost
auch überraschend im Epos als Erinnerung, die sich in dis Erzählung
vielleicht ganz sernliegender Dinge hineindrängt. Ein Kind, das Mary
später von dem Wiedergekehrten und leidenschaftlich Werbenden empfing,
nahm Byrons geliebte Schwester Augusta als das ihrs an, Inzestverdacht
auf sich lenkend, den Byrons Gattin verschärfte, bis niemand mehr zwei-
feln konnte und Augusta, um Mary zu retten, ein falsches Geständnis sich
abnötigen ließ. Wie furchtbar der Dichter unter diesen Erlebnissen litt,
zeigt seine Vorliebe für drei Motive: den Liebestod, die Trennung Lie-
bender und die unglückliche Geschwisterliebe. Als Student in Cambridge
und später als junger Lebemann mit seinen Freunden in Newstead-Abbey
war Byron ein genialischer Grabbe-Mensch, dessen barocke Einfälle den
weimarer Kraftgenies Ehre gemacht hätten. Eine erste Orientreise mit
seinem Hreund Hobhouse gab den Stoff zum „Childs Harold" und jenen
Abstand zum englischsn Peerstum, der den vorübergehend nach England
Heimgekehrten nur kurze Zeit seinen Sitz im Oberhause einnehmen ließ.
Goethe bedauerte dies, denn er betrachtete den starken Drang zur Aus-
einandersetzung mit den politischen und sozialen Mißständen der Zeit in
Byrons Epen, die er übertreibend „negative Parlamentsreden" nannte,
mit Nnbehagsn als Früchte nicht rechtzeitig abreagierter Wallungen. Die
Lhe mit Anna Isabella Milbanke und das üppige Londoner Leben machte
Byron so unzufrieden, daß er sich von der Frau, der Schwester, der Ge-
liebten und seinem einzigen Töchterchen, vor allem aber auch von seinen
zerrütteten Vermögensverhältnissen und seinen literarischen und psäsfischen
Widersachern hinwegrettete in eine reinere Welt. Es lag ihm nicht, sich
dauernd mit unbedeutenden Kritikastern herumzuschlagen, die ihn als Be-
gründer einer „satanischen Schule" verketzerten, und ebensowenig mochte er
teilnehmen an den Zügellosigkeiten des Hochadels, dessen Ruhmesgrad-
messer die Zahl der zerstörten Frauenexistenzen oder der beim betrügerischen
Spiel gewonnenen Gelder war. So verkaufte er Newstead-Abbey und ver-
ließ zum zweitenmal und endgültig England, um erst in der Schweiz, dann
in Italien und schließlich in Grischenland Abenteuer, Schönheit, Liebes-
schmerz und immer neue Enttäuschung zu finden. Der Heldentod, den
der Sproß altritterlichen Geschlechts sich gswünscht hatte, ward ihm nicht
zuteil, doch starb er wenigstens im Dienste der griechischen Sache, als
Führer einer auf eigene Kosten errichteten Brigade von Sulioten, vor
Missolonghi an tödlichem Fieber. Ein Grab in der Westminsterabtei ward
dem Kläger wider Englands Verderbnis verweigert, unweit Nswstead-
Abbey wurde Byron beigesetzt. Landestrauer der Griechen ehrte ihn als
Kämpfer für ihre Freiheit. Was Hölderlin sich erträumte, ward für Byron
rasch ernüchternde Wirklichkeit. Er hat ein Hyperion-Schicksal erlebt, jener

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