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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1924)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Lord Byron: zum hundertsten Todestag des Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0019

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hat es geahnt. Geselligkeit aller Länder, Liebe vieler Frauen, Kampf mit
Feder und Schwert ließen den müden Erben alter Adelskultur immer wieder
aufleben im Drang nach Abenteuer und Luxus. Angekränkelt von der zer-
setzenden Psilosophie seiner die Einheit des menschlichen Erlebens zer-
denkenden Landsleute im achtzehnten Iahrhundert, empfand Byron eine
innere Leere, die ihn zur Verzweiflung treiben konnte, eine Langeweile,
gegen die nur Betäubung half, eine Glaubenlosigkeit, die auch kein Zynis-
mus auf die Dauer überwand. Wäre sein Sinn nicht so stark aufs Prak-
tische gerichtet gewesen, auf Tat und Tatsachen, wäre er nicht immev
wieder Engländer gewesen, so hätte am Ausgang seines Lebens der Wahn-
sinn stehen müssen wie an dem Kleists. So bewahrte ihn vor der Selbst-
zerrüttung der Glückszufall seiner hochadligen Geburt, die ihm jede expan-
sive Selbstbelügung gönnte, wo zu rettender Konzentration die Kräfte fehlten.

Byron dichtet an den Dingen und Menschen entlang. Er umschreitet
sie nicht, er grenzt sie nicht ab, er bannt nicht in endgültige Formen.
Der Wandel des Geschehens nur reizt ihn, nicht das Bleibende. Wo einer
seiner tzelden danach greift — nach der Geliebten, nach Gott —, da ver-
blassen die Worte, da verflüchtigt sich die Gestaltung und Manfred wird
zum vag-n Abklatsch von Faust, zum Schwärmer ohne Gegenspieler, dessen
Selbstbehauptung zuletzt schön in Worte gefaßt, aber durch keinerlei drama-
tische Entwicklung vorbereitet ist. Charaktere vermag Byron überhaupt
nur selten zu zeichnen, am ehesten noch geschichtliche (Mazeppa, Sardanapal).
Bisweilen glückt die Schilderung einer Frauengestalt, so der Sklavin
Myrrha im „Sardanapal«. Meist ist der Held nur da, damit Geschehnisse
um ihn, den Wandernden oder Abenteuernden, gruppiert werden können.
Childe Harold verschwindet ganz von der Bildfläche, Don Iuan, der mit
seinem literarischen Vorbild sowieso nur wenig gemein hat, ist lediglich
Spielball eines höchst erfindungsreichen Schicksals, hinter dem sich der
Dichter-Raisonneur verbirgt.

Nach den dumpfen Familienromanen und -Tragödien des achtzehnten
Iahrhunderts mußten die abenteuerreichen, in fremde Welten führenden
Versdichtungen Byrons erlösend wirken. In ihnen lebten alle unterdrückten
Triebe wieder auf, in ihnen war der Mensch wieder Eroberer der Welt,
nicht Eroberer seiner selbst. Bisweilen glaubt man gereimten Karl May
M lesen, bis eine zynische Strophe, ein Blitzlicht romantischer Ironie die
Ebene beleuchtet, auf der der Dichter in Wahrheit steht. Nicht bloße Fabu-
lier- oder zahme Moralisierlust treibt ihn von Gesicht zu Gesicht, sondern,
und auch das hat Goethe schon erkannt, sein Dämon. Byron erscheint als
ein Verzauberter, ein Ritter und Recke, ein faustischer Ringer, ein Frauen-
bezwinger, ein prunkender Herrscher, dem immer nur eine Kleinigkeit dazu
fehlt, daß er es auch wirklich ist.

Er sehnt sich nach Notwendigkeit und findet immer nnr Möglichkeiten.
Mcht einmal an seine dichterische Mission glaubt er. Im vierzehnten Ge°
sang des Don Iuan erklärt er, daß er drucken lasse aus den nämlichen
Gründen, aus denen andere Karten spielen, lesen oder trinken: um die
liebe Zeit totzuschlagen: „Und was ich schrieb, ich geb's dem Wogenschaum;
Schwimm's oder sink's, so war es doch ein Traum." Wenig später erklärt
er, daß seine Muse ni'cht zu dichten suche, sondern nur Fakta sammle von
hier und dort. Damit rückt sich Byron selbst in die Nähe jener aristokratischen
Sammlertypen erster Ordnung, die Erlebnisse häufen wie andere Briefmar-
ken und Schmetterlinge, und die aus Schwäche der eigenen Persönlichkeit

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