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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1924)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Der Spielplan eines modernen Stadttheaters
DOI Artikel:
Hoffmann, Paul Theodor: Religiöses Schicksal: der Bußgang Arthur Schopenhauers
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0258

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Shakespeareschen Tragik und seinen göttlichen tznmor aussprechen; einen
Moliere, der die Gesellschaft des Barock spiegelt, einen Holberg, der das
erste Wetterleuchten vor den großen sozialen Umwälznngen in seine Zeit-
komödien einfängt, einen Vertreter des Sturms und Drangs usw. Am
schwierigsten ist natürlich die Auswahl fürs i9- und 20. Iahrhundert, ein-
mal wegen der Fülle ihrer Hervorbringungen, dann aber auch wegen der
Unsicherheit in der Beurteilung, vor allem der jüngsten Kunst. Hier eben
lassen sich keine Regeln geben, und es kommt alles darauf an, daß der
Bühnensinn des Dramaturgen groß genug ist, um Irrtümer nnd verfehlte
Versuche zu vermeiden. E. K. Fischer

Neligiöses Schiüsal:

Der Bußgang Arthur Schopenhauers

einer geht seinen Weg für sich, sondern wir gehen, ein jeder, den Weg

^sür Alle.

^ ^Einst war der religiöse Weg, der Weg zu Gott, chell und klar im Lichte
der Kirchenkerzen. Man mochte den katholischen Weg gehen oder den
schlicht-protestantischen, wie ihn rührend ein Ludwig Richter wandelte, man
kam am Schluß zu Gott dem Herrn.

Heute ist dieser Weg, der an einfachen Bildern und Wegweisern hin-
gleitet, vielen nicht mehr gangbar. Er ist ihnen verschwunden. Und aus
innerem Zwang suchen sie ihn neu zwischen dunklem Himmel, im Sturm
des nächtlichen Waldes, im eigenen Blut.

Viele verstricken sich über dem Suchen sehr bald in sich und suchen über-
haupt nicht mehr. Ihr Weg — alle diese Wege führen 'in die eigene Brust
jedes Einzelnen — verödet, verweht. Sie sind nicht mehr Sucher, sondern
Preisgegebene, Unfruchtbar-werdende: Irreligiöse.

Solange sie noch Weg in sich haben und ihn gehen müssen, so lange ist
auch ihr Schicksal noch lebendig.

Dies Schicksal aber, das sie trifft, ist nur ein einzelner Strahl des großen
Gewitters, das über allen lebendigen Herzen hängt. In allen irreligiös
Gewordenen, den „Weg" Suchenden, klopft der gleiche Puls, drängt das
gleiche Verlangen, verlangt der ewig gleiche und von Kultur zu Kultur ein
neues Gesicht zeigende „Erlöser" nach Erlösung.

Iedes Scheitern eines Einzelnen ist ein Scheitern für das Ganze; jeder
Schritt gewonnenen Weges ein Schritt für die Gesamtheit.

Auch der Gang Arthur Schopenhauers war ein Gang für uns alle.

Achopenhauers Weltanschauung zeigt, wohin er auf diesem seinem reli-
^giösen Weg gelangt ist.

Schopenhauer litt am Leben. Er fand im Leben keinen Sinn und er
fand auch den Urgrund dieses Lebens sinnlos. Ein blinder dumpfer Welt-
wille, so lehrte er, hat diese unsere Wirklichkeit mit der Erde, den Sonnen
und Milchstraßen hervorgebracht; dadurch daß dieser Wille sich selbst in
sündiger Weise „bejahte". Wir sind als Verwirklichungen, als Objektiva-
tionen des Weltwillens, sür alle Ewigkeit in dieses Leid, in diese Sinnen-
leere verstrickt. Nun bedrängt, nun brennt uns die Frage: Wie erlöse ich
mich aus dieser Schmerzenswelt? Aud SHopenhauer antwortet: Wenn
wir diesen Weltwillen mit seinen Trieben verneinen, ihn damit in sich
zurückbiegen, ihn in seiner Bejahung, Not und Sünde aufheben und uns

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