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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1924)
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Trentini, Albert von: Berg
DOI Artikel:
Klopfer, Paul: Von der Baukunst und ihren Temperamenten, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0154

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Er uns noch entgegen; und ein Iahrtausend, scheinbar, von Tücken noch,
ehe wir endlich, wie die Strolche, im späten Mittag in der Station unten
landeten. Aber — gerufen wnrden wir nicht! Doch — gezeichnet waren
wir! So glänzende Gesichter saßen auf unseren Lumpen, daß ein Blinder
das Mal des Gesegnetseins auf ihnen hätte lesen können. In der Station
atzen wir neun Butterbrote; mehr waren nicht da. In der nächsten alle
Schinkensemmeln, die da waren. S o hatten wir uns noch niemals gesehen!
Als wir, in der Stadt angekommen, vor dem Bahnhof das Auto heran-
winkten, sagte Ivossa: „Ich lese auf der Säule drüben: „Palästrina^. Heute
Abend in der Oper. Gehn wir?"" Ich mußte wahrhaftig hellauf lachen;
denn ich hatte es auch gelesen; aber natürlich nicht gewagt, zu fragen. „Das
glaub' ich!" Nichts hat „Palästrina" mit dem Berg zu tun, auf dem wir
unsere Welt bis ins letzte Iota bestätigt gefunden hatten! Ivossa aber, als
im ersten Akt die Flamme des Lngels-„Gloria" aus der Nacht des Men-
schen hervorbrach, nahm meine Hand in die ihre und lispelte mir trunken
zu: „Weine nicht, du rührseliger Bergsteiger! Ich weine auch nicht!" Und
so weinten wir beide: Wonne, Wonne — zu leben!

Albert Trentini

Von der Baukrrnst und ihren Temperamenten

VI. (Schluß)

Das Lrsterben des melancholischen
Kulturtemperamentes, das Erwachen
des lateinisch cholerischen.

Itnd doch hat es eine Zeit, und mit der Zeit einen Willen gegeben,
^der imstande war, diese heterogenen Bauarten zu vereinen! Das war
um die Zeit, in die Goethe seinen Faust gedacht hat, mit jener Mischung
von Sanguinik und Melancholie. Faust klagt:

,,Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust,

Die eine will sich von der andern trennen;

Die eine hält in derber Liebeslust

Sich an die Welt mit klammernden Organen,

Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen."

Zur Zeit der Geißelbrüder und der Himmelssehnsucht erzählte Boccaccio
seine hundert Novellen.

And die Baukunst? Ist sie wirklich ein Spiegel, eine Vermittlerin der
Kultur, dann muß sie auch diese seltsame Temperamentgenossenschaft ver-
raten. Das geschieht nicht sogleich, denn die arbeitet langsam, aber es ge-
schieht: in derdeutschenRenaissance. Wir wissen, die Renaissance
ist ein Abkömmling der römischen Baukunst, besser ihr wisseuschaftlicher
Aufguß. Aber der sanguinische Kern, der in der antiken Kunst wirkte,
war uoch nicht vertrocknet und es blühten in Italien zunächst die neuen
Künste und Wissenschaften aufs herrlichste. Denn der nordischen Melan-
cholie war Italien nie nahe, trotz seiner gotischen Kathedralen — die genau
besehen alle den sanguinischen Gerüststil verraten.

Wichtig ist es nun für uns, festzustellen, wie sich Renaissance mit
Gotik vereinigten.

Ein Beispiel: Im kleinen Luftkurort Freudenstadt im Schwarwald hat
der sehr bedeutende Baumeister Schickhardt im Iahre 1599 eine Kirche

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