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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1924)
DOI Artikel:
Elenora Duse: ein Epilog der Epiloge
DOI Artikel:
Häfker, Hermann: Die Himmelsdichtung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0214

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nach dem letzten Gelde hin antrat, lächelnd hinauf zu ihr sagte: „Gehe ruhig
Eleonora! Denn du darfst sterbenl Das Höchste, was Menschen gelingen
kann, ist dir gelungen: göttlich zu werden im irdischen Maße!"

Die Himmelsdichtung

i.

^V^er tiefer in die Geheimnisse des Sternenhimmels einzudringen
?/ ? »trachtet, sieht sich gleich im Anfang vor einem fast entmutigenden
n tzindernis. Die krausen Reihen und lockeren Haufen großer und
kleiner Lichter sind in Gruppen zusammengefaßt, Sternenbilder geheißen.
Soweit ist man einverstanden; nun aber beginnt die Qual. Die Namer:
dieser Sternbilder weisen auf Tier- und Menschengestalten, mit denen nur
ganz selten die geringste „Ahnlichkeit" entdeckbar scheint. Das ist freilich
nicht von der menschlichen Seite verschuldet. Setzt man sich darüber hinweg,
so dringen Namen einer seit zwei Iahrtausenden verklungenen Sprache
ins Ohr und wollen in uns die Fantasien eines uralten Volkes erwscken.
Lassen wir uns auch darauf ein, — was hören wir? Zahlreiche mehr oder
weniger großzügige, meist humorvolle, zum Teil aber auch befremdliche Ge-
schichten von Göttern, Helden und Ungeheuern, denen der Vers Ovids nach-
klingelt — „und um dieser ihrer Verdienste willen" — oder auch ein-
fach „zur Erinnerung daran wurden sie an den tzimmel versetzt", wo man
sie da und da erblicken kann. Aus diesen Mißhelligkeitsn finden die Einen
bald den rettenden Weg zur modernen astronomischen Sprache. Viele aber
geben die Sache schon vor diesem ersten tzindernis auf. Keiner aber wagte
ganz entschlossen den Eintritt in diese rätselhafte Bilderwelt selbst, die so
gar nicht zu der Erhabenheit des Gegenstandes zu passen und auf jeden
Fall keinen irgendwie „astronomischen" Sinn zu haben schien. Selbst die
Wissenschaft hat die Versuche, einen zusammenhängenden, gegenstandwür-
digen Sinn des Sternbilderhimmels wiederzuentdecken, aufgegeben und
sich darauf beschränkt, Einzelstoff zu sammeln. Das hier Mögliche war
bald getan; was Ideler in seinen „Untersuchungen über Nrsprung und Be-
deutung der Sternennamen" 1809 darüber sagte, erschöpft schon ungefähr
den Gegenstand.

Von ganz anderer Seite kam allmählich das Licht: von der vergleichenden
Sagenforschung. Die Märchenwelt der Völker weist eine Einheitlichkeit
auf, die mit der allgemeinen körperlich-geistigen Ähnlichkeit des Menschen-
geschlechts allein sich nicht erklärt, sondern auf bestimmte geschichtliche Zu-
sammenhänge und vor allem aus bestimmte gemeinsame Mutter-Begriffe
hinweist. Als deren Nährboden aber wurde immer klarer der Sternen-
himmel erkannt. Die Spatenarbeit, die die Weltgeschichte besonders des
Alten Orients um Nrkunden einer neuen Art bereicherte und ihren Zeit-
umfang um mehr als das Doppelte nach rückwärts erweiterte, vollendete
nebst anderem die Gewißheit, daß nicht nur ein Ursprung der „Religionen"
im Gestirndienst lag — zuerst Mond-, später Sonnenverehrung —, daß
auch die tzimmelskunde nicht nur die erste und die Grundform aller Wissen-
schaften gewesen ist, sondern der Anfang und die Anschauungsgrundlage all
unserer Geistesentwicklung überhaupt. Der dichterische Niederschlag
des Begeisterungsrausches, den die wissenschaftliche Entdeckung des tzim-
mels in der Menschheit erweckte und der sich in einem blendenden Aufstieg
der mathematischen und Naturwissenschaften, der Religionen, der Künste
 
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