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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1924)
DOI Artikel:
Klopfer, Paul: Von der Baukunst und ihren Temperamenten, [2]
DOI Artikel:
Kuhfahl, Gustav: Vom Entwicklungsgang der photographischen Technik und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0120

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gleichen wir nur einmal eine sogenannte Säule der Hildesheimer Michaels-
kirche mit einer vom Parthenon! Da wird uns das oben Gesagte deutlich:
jene ist überhaupt keine Säule, sondern ein herausge-
schnittenes Mauerstück. Ohne Schwellung, plump in den Maßen, mit
schwerem Kapitell und weichlichem Fuß kann — und will sie auch — gar
keinen Anspruch auf den Begriff Säule machen.

Was ist denn die Säule? Sie ist ein Glied des Gerüstbaues. Auf ihr
lagert der Balken (Architrav), der die Balken der Decke aufnimmt, welche
quer und flach ohne innere Beziehung auf den Wänden aufliegt. Deutlich
sehen wir diese aus der Holztechnik geborene Konstruktion am Griechen--
tempel, vergebens suchen wir sie am romanischen und gotischen Bau, wenn
auch falsch vorhandene Formen da und dort noch genug vorkommen.

So ist der Gerüstbau, und vornehmlich die Säule, ein Symbol das archi--
tektonisch zu fassenden menschlichen Organismus. Das Temperament, das
sie schuf, war das sanguinische, das schön-menschliche. Hier finden wir das
Wort von der „schönen Kunst" verwirklicht, von jener Kunst, die bis über
Schopenhauer hinaus als die einzig wahre Kunst galt, und von der auch
so ein tiefer Denker wie Gottfried Semper, gewiß kein N u r--Materialist!
nicht loskam.

Es gibt kaum größere Gegensätze als den griechischen Tempel und die
gotische Kirche. Sie entsprechen den Gegensätzen vom Sanguiniker und
Melancholiker, vom Lebensbejaher und dem Lebensverneiner. — Diesen
Gegensatz drückt die Baukunst im Größten wie im Kleinsten aus. Der
tzöhlenraum in seiner Einheit von Wand und Decke, wie ihn die gotische
Kirche zeigt — und der Kubus eines klassischen Innenraumes, dessen
Decke ohne Gefahr, die Wände auch nur im geringsten zu beschädigen,
aufgeklappt oder weggehoben werden kann. Oder das Portal des Freiberger
Domes und die Tür zum Erechtheion! Dort der Ausdruck des tiefbohrenden,
aushöhlenden Hineinschneidens — und hier: ein Rahmen aufgelegt um den
Ausschnitt der Offnung — dem Bilderrahmen gleich, der die Leinwand
umfaßt! Aberall, wo im gerüstlichen Stil zwei Bauteile verschiedener Art
aufeinandertreffen, sitzt als Naht-Deckung die Leiste — das sehen wir doch
tagtäglich in unserm anthropozentrischen Zimmer — an der Scheuerleiste,
der Deckenkehle, an den Türbekleidungen! Wo sitzen Nähte und Leisten an
den Bauten des Massenstils? Sie sind, wie in Paulinzella, ornamentale
Wandteilungen, aber sie deuten keine Konstruktion, keinen Organismus an.

(Schluß folgt.)

Vom Entwicklungsgang der photographischen Technik

und Kunst

/^in Dierteljahrhundert unserer raschlebenden Zeit ist vergangen, seit-
»^l^dem man von den ersten Bestrebungen und den ersten handhaften Er-
^^folgen einer Kunstbetätigung mit photographischen Mitteln hörte. Die
Stimmen, die der neuentdeckten Darstellungstechnik von vornherein jede
Aussicht auf künstlerische Verwertung absprachsn, sind ebenso zum Schwei-
gen gekommen, wie die der Enthusiasten, die eine Verdrängung der graphi-
schen Künste voraussahen. Die Zeit hat klärend gewirkt. Auf mittlerer Linie
trafen sich die Ansichten. Mögliches scheint hier jetzt vom Nnerreichbaren
geschieden.
 
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