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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1924)
DOI Artikel:
Klopfer, Paul: Von der Baukunst und ihren Temperamenten, [3]
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Klopstock: zu seinem zweihundersten Geburtstag am 2. Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0158

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ist es Gott nicht, dann ist es die Menschheit, nach deren Stinune und
Herzschlag er sich sehnt, in die hinein er dringen will, mit aller Kraft seines
neugeborenen rnelancholischen Temperamentes.

Und wieder, wie im Mittelalter, findet er den Widerstand in der Masse.
Wieder höhlt er, schneidet er am Stoff, biegt ihn nicht, findet sich mit
ihm weder sanguinisch-harmonisch noch cholerisch-souverän ab, sondern kämpft
mit ihm: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

Und da sehen wir, wie der Holzschnitt, die Holzbildhauerei, die massen-
schnittige Architektur (in Beton!) aus dem Boden wächst, als dentsch-
abendländisches Erzeugnis. Keine Kirchen, nein, Fabriken, Arbeitersiede-
lungen, Bahnhöfe, Hallen, Volkshäuser — Kosmopolitisches, Weltumspannen-
des, da es Entfernungen nicht mehr gibt. Rnd der Mensch ist nicht mehr
das Maß, die Persönlichkeit ist verschwunden, ist untergegangen im Ganzen
der Menschheit.

So ist das melancholische Temperament doch nicht gestorben?Tempera-
mentesterbennicht. Sie warten auf ihre Zeit und sind untrennbar dem
Volke verbunden. Nie werden die Griechen Melancholiker, nie werden
wir Deutsche Sanguiniker werden. Das heißt: solange wir Deutsche, ich
meine Deutsche im Kerne, bleiben. Denn wir sahen: in der Deutschen
Renaissance, wie im Barock — immer sprach dieses unser melancholisches
Temperament mit. Und wo es schwieg, da waren wir keine Deutschen und
keine Künstler.

Denn die Baukunst ist ein strenger Richter.

Paul Klopfer

Klopstock

3u seinem zweihundertsten Gebnrtstag am 2. Juli

^lV^as ist Klopstock dem lebenden Geschlecht? Der Träger eines wun-
^FD)derlichen Namens, der Verfasser eines langatmigen Epos, das nie
gelesen zu haben man mit Stolz verkündet, und allenfalls noch der
Dichter der Frühlingsfeier oder des Zürichersees. „Gebildete", sogar sehr
gebildete Leute zitieren, wenn man ihnen in diesen Tagen von Klopstock
spricht: »Wer wird nicht seinen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen?
Nein. Wir wollen weniger erhoben und sleißiger gelesen sein." Nnd die-
ser Vers Lessings sagt: die eigenen Zeitgenossen des Messiasdichters
hielten es schon so. Wie aber kam es zu dieser Einstellung, die allenfalls
beim raschlebigen modernen Menschen begreiflich ist, im behäbtgen Iahr-
hundert des Rokoko mit seinen reimenden Landpfarrern und Archivaren
aber kaum verständlich erscheint? Lessing war Rationalist und seine Dich-
tung eigentlich Denkung. Das Wort diente ihm zur Aufhellung logischer
Zusammenhänge, begrifflicher Werte, ihm ging es um Realitäten und
Kampfpositionen der widerspruchsvollen Tatsachenwelt, er war Dialektiker,
auch als Moralist, er war Glaubens st r e i t e r, nicht Gläubiger, er war
Partei, immer und überall, und mühte sich, Anwalt des Absoluten zu
werden, ohne zu ahnen, daß er es schon durch die bloße Gegensatzstellung,
durch die Durchbrechung des monistischen Prinzips relativierte. Klop-
stock war Mystiker, ob ihm auch das Gedankenwerkzeug des Rationalis-
mus voll zu Gebote stand. Er dichtet und versenkt sich, taucht hinein in
den göttlichen Seinsgrund, sein Wort ist nicht gezeugt aus der Aerdenkung
des Wesenden in Begriffe und Verknüpfung zu logischen Zusammenhängen,

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