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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1924)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Das deutsche Gefängnis: ein Protest wider die Reichsregierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0063

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Das deutsche Gefängnis

Ein Protest wider die Neichsregieruug

^t^^it einem einzigen plumpen Akt hat die Reichsregierung zehn°
glühende Wnnsche durchkreuzt, hunderttausend Argernisse
^"^^an der Republik geschaffen..

Zehn Iahre nun waren wir „Gefangene". Menschen, die ein Leben
hindurch Pfennig auf Pfennig gelegt hatten, um einmal das sonnenum-
glänzte Sunion zu erblicken und dann ihre Tage zu beschließen, Menschen,
die all ihr Sehnen abgetan und nur das eine am Leben erhalten hatten:
Rom! Männer und Frauen, die den letzten Freund, die letzte Freundin
in Upsala, in Roeskilde, in Prag, in Edinburgh wußten und hungerten
nach ihrem Anblick mehr als nach Brot, sie sahen das Ihre zerrinnen
und starben ungetröstet dahin. Die überlebten, verloren langsam die tzoff--
nung. Da, nach zehn schmerzenreichen Iahren, läutete das Glöckchen.
Es war um die Weihnachtzeit. Die Mark, das gebrechlichste, schatten-
hafteste Wertfetzchen der Welt, erstarkte, von Goldadern schimmerte sie,
und in unserer tzand lag sie nun: ein Schlüssel für das furchtbare Tor der
Grenze, das seit kaum mehr erinnerter Zeit eisern gesperrt war.

Ich bin in dieser Zeit zwei Mal jenseit des Tores gewesen. Die
Menschen in den sremden Ländern lächelten: „Deutsche überall.. Nun
ja, so lange waren sie verkerkert." Ich weiß, daß die ewig Gierigen
gegreint haben, wir kauften sie nun aus, und vergaßen, wie sie uns
erst ausgekauft hatten — die Denkenden, die Fühlenden klagten nicht.
Die Weitblickenden wußten: Das dauert nicht an. Die italienische Ge-
sandtschaft ließ eine feierliche, noble Kundgebung erscheinen: „Es ist nicht
wahr, daß wir das Visum verweigern oder aufschieben. Mit Aberstunden
wird gearbeitet, um alle Wünsche zu befrieden. Wer immer unser Land
schauen will, soll es frei können.« — Die deutsche Reichsregierung aber
sprach vom „Unwillen", den der Strom der Grenzüberschreiter errege!
Vor uns hätte sie sich stellen müssen, wenn ein Maklerverein in Brüssel
oder die Teppichhändler von Venedig plärrten, und dem Ausland feier-
lich erklären, daß keine Regierung eines Kulturvolkes es nnternehmen
dürfe, ihre Volksgenossen auch nur einen Tag über die wirtschaftlich
gegebene Frist einzusperren, ihren Volksgenossen das billigere Leben
im Ausland zu verbieten und sie znm tzunger im eigenen Lande zu zwingen,
daß es unsittlich und kulturfeindlich sei, solches zu fordern oder
gar zu tun — sie schwieg! Mehr, sie gab den Veilletäten nach, ver-
riegelte mit erbitternder Geldstrafe das kaum geöffnete Tor und bewährte
also zum unzähligsten Male die Schwäche, an der wir seit Iahren kran-
ken, auf Kosten der ohnehin zutiefst gesunkenen und getroffenen Kreise.

Denn wer reist zuletzt nach Italien? wer überhaupt sucht Fühlung
mit dem Ausland? Den Kern der Auslandsfahrer stellen die Geistigen,
auf denen ohnehin bei uns ahnung- und rücksichtlos herumgetrampelt

Maiheft ,92^ (XXXVII, 8)

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