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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1924)
DOI Artikel:
Mager, Jörg: Wie steht es um die Viertelton-Musik?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0073

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tonale Prinzip weicht langsam einer freien Klangfindung und Klangge-
staltung. Und mit gewonnener Freiheit dieser Art mußte ganz von selber
die Neigung wachsen, auch aus kleineren Intervallen gebildeten Klang, in
kleineren Intervallen laufende Melodien zu erproben. Das liegt schlecht--
hin in der Linie der Entwicklung. Unser damaliger Aufruf hat nun zwar
Iörg Magsr in dsn Stand gesetzt, sich ein Viertelton-tzarmonium zu kon°
struieren und eine kleine Schrift zur Sache herauszugeben. Dennoch ist
die Angelegenheit, die von höchster künstlerischer Bedeutung sein könnte,
später in Deutschland vernachlässigt worden. Ich stelle darum tzerrn Mager
gern ein zweites Mal den Kunstwart zu Aberblick und Aufruf zur Ver-
fügung. Möge er nicht wirkungslos verhallen! Sch.

O

Nach dem Kriege fand sich ein Viertelton-Musiker-Kreis in Berlin
zusammen; der Ausse Wischnegradski, Alois Haba aus Prag, Dr. Stein,
Möllendorf und ich. Als ich den kühnen Viertelton-Komponisten Habä im
Instrumentenmuseum der Musikhochschule an zwei Flügeln mühsam Viertel-
töne spielen sah, versuchte ich, auch ein Viertelton-K l a v i e r fertig zu
kriegen. Aber es gab Schwierigkeiten über Schwierigkeiten! Schon die An-
ordnung der Tasten in drei Sorten — Ganz- Halb- und Viertelton! —
Auch die gleichzeitigen Bemühungen Habäs und Wischnegradskis um das
gleiche Problem versprachen wenig. Zwar ist neulich in Braunschweig ein
Viertelton-Doppelflügel hergestellt worden, doch gerade dieser beweist deutlich,
daß noch lange nicht an ein Viertelton-Piano gedacht werden kann. — Ich
glaube heute, daß die Lösung in der „Allmacht der Elektrizität!«
zu finden sein wird. Darauf wies ich schon am Schluß meiner srüheren
Schrift hin.

Was läge im Zeitalter des Radio näher, als mit Kathodenröhren Schwin-
gungen zu erzeugen? — Eine bekannte Radioautorität, die freilich fragte,
wann Busoni gelebt habe, bejahte meine Fragen nach der Möglichkeit,
durch Radio Töne zu erzeugsn.

Nach einem Vierteljahr des Herumbettelns um Apparatur stieß ich endlich
auf eine großzügige, weitblickende Radiofirma, die mir ein Iahr lang
Apparatmaterial lieh. Nnd die Ergebnisse? Als Habä sah und hörte,
wie ich nun auf dem „Elektrophon" nicht nur Viertel-, sondern sogar Achtel-,
Drittel-, Sechstel-, Zwölfteltöne spielend hervorbrachte, manchmal in einer
Klangschönheit, die dem Kunstgesang nahe kam, schrieb er: „Das Elektrophon
ist geeignet, eine epochale Entwicklung nicht nur im Instrumentenbau, sondern
für die Musik überhaupt etnzuleiten. Ich wäre bereit, für Llektrophon zu
schreiben und habe kleinere Stücke für das Soloelektrophon fertig." —

Als im vorigen November in der Musikhochschule Berlin Habäs Viertel-
ton-Streichquartett aufgeführt wurde, machts der zweite Direktor der Hoch-
schule, Prof. Schünemann, in seinem einleitenden Vortrage darauf aufmerk-
sam, daß sich die nächste Entwicklung der Musik wohl nach dieser Richtung:
Vierteltonmusik oder freie Tondifserenzierung nach Iörg Magers Elektro-
Phon, vollziehen werde. —

Die meisten Bedenken gegen einsn Fortschritt über Ganz- und Halbton
hinaus stammen aus der Meinung, es gäbe nichts Besseres und Vollkom-
meneres als unsere sog. „temperierte^ Stimmung mit den zwölf Halbtönen
in der Oktave! Nur ein verhältnismäßig recht kleiner Kreis weiß von den

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