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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1924)
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Sommer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0205

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Der Wald, der noch vor kurzem eiu tausendformig-tausendfaches, spiele-
risches Schwanken war, hat sich abwehrend zu einer schwarzen Mauer zu-
sammengeschlossen. Er verbirgt die lautlosen Glühwürmer, und die Nachti-
gallen schweigen im Nnterholz. Wer in solchen Sommernächten mit ciner
Liebsten über Felder geht, dessen Leib wird schwer von Liebe. Der Tau be°
tastet ohne Kühlung seinen nackten FuH. Die Stille- wirft ihn nieder. Die
Halme bergen ihn. Die unaufhörliche Dämmerung der Mittsommernacht
streicht mit verzaubernder Gebärde seine Gedanken fort und löst ihn auf
in erdenhaftes Geschehen.

Es gibt auch Sommernächte, die die Gedanken beflügeln. Die Lider sind
leicht, und die Hände liegen leicht auf der kühlen Bettdecke. Warmer Nacht-
sommerregen fällt auf glatte Blätter; er tröpfelt nach — und schweigt zu-
letzt; breite Ströme von Kühle fließen zum offenen Fenster herein und über-
hauchen das Gewirr der Haare, in dem die tzitze des Tages noch nistet, mit
guter Feuchte.

Auch die Wiese ist vom Sommer gemacht. Sie wellt sich einen sanften
Abhang hinab und ist über und über bunt betupft. Pechnelken, weiße
Margariten und die goldenen Sterne, die überall blühen und deren Na-
men doch niemand recht kennt, leuchten vor. Aber wenn du näher hinsiehst,
findest du noch tausend andere Farben in dem Gewirke. Unter den höchsten
bunten drängen sich kleinere: Klee, Wicke, blasse Nesseln, und wieder unter
diesen noch kleinere: Amaranth, Gundermann und Hungerblümchen. Nnd
wieder — hör auf! Der Sommer sitzt oben im tzaselgesträuch und läßt aus
seinenr rechten Nrmel Hunderttausend Windkügelchen auf einnml den Ab-
hang hinunterrollen, daß alles Geblüh sich dir vor den Augen verwirrt
und, verwandelt in Schmetterlingstänze, auszuschweben scheint, er lacht dich
aus, du Narr, wenn du seinen Reichtum aufzählen willst, den er selber
nicht zu zählen begehrt. Möchtest du nicht lieber, sragt er dich lustig, meine
Insekten zählen, Freund, die Iuwelen-Geschmeide, die ich — sieh: so! —
aus meiner linken tzand in dieLuft sprühe? Er hebt hier ein Blatt, er schiebt
dort ein Blatt, daß du sie angeheftet siehst, und schickt dir ein ganzes Heer
lebendiger Edelsteine um den Kopf. Erklärend slüstert die Wiese: Diese
schillernde Fliege, eigensinnig fliegt sie, sieh! Die dünnen Wespen sind
klug. Sieh hier den grünen Raupenstab von Chrysopras, sieh hier die klet-
ternde Koralle. Sieh, dieser sremde Flügeljüngling flitzt — o lache doch! —
flitzt hundertmal von einer Blüte fort, ehe er endlich bei der anderen ein-
kehrt! Aber die tzummel — — die Blume verstummt, weil das braune
Pelzlein schwer in ihren Kelch kriecht, und schwankt von Liebe. Du sinkst
verwirrt hintenüber ins Gras und starrst die aufgeplusterten Wollebäusche
an, die Wolken, die langsam am tzimmel hinaufschläfern, in der Mitte zu
zarten Fasern sich auflösen und zu nichts zergehen. Du schläfst ein und
träumst einen der zärtlichen Sommerträume, die dir mit warmen leichten
Pfötchen über die Brust rennen, wie eine lächelnde Flötenmelodie. Du
wachst auf, weil es metallen rauscht, und starrst den braunen Mann an,
der seine Sense schwingt, als tanze er mit gespreizten Beinen einen un-
erbittlichen Tanz. In schweren Schwaden fällt das Gras; der Schnitter
wähnt sich Herr des Sommers.

Aber der Sommer ist schon aus dem Haselbusche aufgestan-
den und hinüber zum Straßengraben gegangen. Er stellt sich
mit seinen heißen Füßen in das stehende Schlammgewässer, und aus
neuer Lauheit bricht üppig zackiges Kräutergezweige. Wie mit Sägen
 
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