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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI issue:
Heft 9 (Juniheft 1924)
DOI article:
Bekker, Paul: Richard Strauß: zu seinem 60. Geburttage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0114

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Es war einmal eine Zeit, in der um Strauß gekämpft wurde, eine Zeit,
da es nötig war, für Strauß zu sein, schon weil das Gegenteil denn doch
gar zu abgeschmackt und lächerlich war. Es gibt sogar Leute, die stets
„gegen" Strauß waren und sich heut noch dessen rühmen. Aber das ist in
Wahrheit ein schlechter Ruhm und nur das Zeichen einer geistigen Sterilität,
die noch nicht einmal bis zu Strauß zu gelangen permochte. Um über
Strauß kritisch sprechen zu dürsen, muß man durch ihn hindurchgegangen
sein. Dann aber wird und kann eine solche Kritik niemals dem Sinne nach
auch nur annähernd vergleichbar sein dem, was in der üblichen Sprache als
„Gegnerschaft" bezeichnet wird. Gegnerschaft als Verneinung ist möglich
nur gegenüber dem talentlosen Charlatan als Kennzeichnung seiner Undis--
kutierbarkeit. Wo aber die unanfechtbare Kunstleistung gegeben ist, wo wir
nun über die Grundfragen der geistigen Wertprägung, über das Werk als
„Gestalt" im Sinne seiner Idealität, über das Ethos eines reichen Schaf-
fens sprechen, da gibt es keine „Gegner" und keine „Anhänger", da gibt
es nur Betrachtung, Erkenntnis, Distanzierung.

Strauß zählt jetzt sechzig Iahre. Es ist lehrreich, die Daten seines Lebens
zu betrachten im Hinblick aus andere Zeitereignisse. Geboren in dem Iahre
der großen Schicksalswende in Wagners Dasein: der Berufung nach Mün-
chen, erlebt der Heranwachsende die Kämpfe um Wagner in der doppelten
Verschärfung der Münchner Lokalsphäre und des väterlichen Orchestermusi-
kantentumes. Als er V Iahre zählt, stirbt Wagner, drei Iahre darauf
Liszt, als er 20 Iahre alt ist, j89H, stirbt Bülow, s896 Bruckner, j89? Brahms,
im gleichen Iahr verfällt Hugo Wolf der geistigen Umnachtung. Alle Kräfte
des Aufschwunges sind vernichtet, es tritt jenes große Vakuum des geistigen
und künstlerischen Lebens ein, als das die letzten 25 Iahre vor dem Kriegs-
beginn uns heut erscheinen. Diese 25 Iahre sind die Zeit der Kunst von
Richard Strauß. Die Linie des Aufstieges setzt an mit „Don Iuan" und
führt hinauf bis zur „Ariadne". Alles Vorangehende ist Prolog, alles
Nachfolgende Epilog. Das Werk wird bezeichnet durch diese Mittelgruppe.
Die neuromantische „Tondichtung" macht den Beginn, die Stilkomödie des
ironisierend nachgeahmten Rokoko gibt den Abschluß.

Dieses sind die zwei Punkte, zwischen denen die Linie des Straußschen
Schaffens überhaupt läuft: Romantik als Art der intellektuellen Anschau-
ung, Stilwille des Musikers als innsrlich bestimmende Art der Gestaltung.
Strauß ist Musikant von Geburt an. Es gibt keinen Moment in seinem
Leben und Schaffen, wo er nicht Musikant, primärer Künstler des Klanges
wäre. Daher seine tiefe Liebe zu Mozart, die ein Grundmerkmal seiner
Natur, Kennzeichnung einer innigen Sehnsucht ist. Daher auch seine ur°
sprüngliche Sympathie für den akademischen Klassizismus, der ihm nicht
nur äußerlich aufgezwungen wurde, sondern dem Llementarinstinkt seines
Wesens entsprach. Strauß ist im tiefsten Sinne akadeinischer Formalist
während seines ganzen Lebens geblieben. Gewechselt haben nur seine
Muster, gesteigert hat sich seine Kunst der intellektuellen Variierung. Was
an den so revolutionär scheinenden Tondichtungen der frühen Zeit einst
verblüffte und als unerhörte Neuerung erschien, so daß selbst ein Bülow
bei aller Sympathie sich eines gewissen Grauens nicht erwehren konnte,
das steht in Wahrheit einem tzumperdinck, Mendelssohn, Raff näher als
irgendwelchen Amsturzideen. Diese eigentümliche Aberkreuzung der Wirkun-
gen ergab sich aus der eigentümlichen Voraussetzung, durch die eine forma-
listische Eklektiker-Erscheinung zur Aufnahme und Weiterführung roman-

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