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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI issue:
Heft 9 (Juniheft 1924)
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Trentini, Albert von: Väter und Söhne
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0107

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die Äberzeugung gekommen ist! Dieser Mann also hat sein „Fertig--
sein" auf redlich heißem, das Wahre in der Kunst unerbittlich suchen-
dem, jedem Kitsch abholdem, jeder Scheingenialität seindlichem Wege
und überdies in historischer Reihenfolge erworben. Aber auch dieser
noch tauglichste, rechtschafsenste und gesinnungstüchtigste Einzelne des her--
digen Publikums gerät nun vor dem expressionistischen Gemälde außer
Rand und Bandl Er ist gewiß gegen uichts gleichgültig, was Kunst angeht!
Er liebt sie als Sinn und Ausdruck der Kulturl Darum muß er zu dem
Bilde Stellung nehmen! Änd — urteilt endlich genau so gedankenlos sicher,
wie nun schon seit langem die Mehrzahl der fünfundvierzig-- -oder mehr--
jährigen Kunstkritiker über „moderne" Bildwerke, Dichtungen und
Musik geurteilt haben. Es genügt, die Schlagworte zu nennen- sie
stehen bereits in jedem Trambahn-- und Deegespräch--Steller: Äberschreitung
der elementaren Kunstgesetze aus Dummheit oder Frivolität; nichts gelernt;
Größenwahn; traditionslos; sinnlos; formlos; konfus; — Mist!

Hört dieses Urteil nun der Iüngere, dann ist der Ältere einfach gerichtet!
Er wird — ohne weiteres — zum größten Schwachkopf der Welt gestempelt.
Es wird ihm nicht, wie nur gerecht wäre, die Voreingenommenheit aus
seinem „Fertigsein" heraus, sein Prinzip also und seine sichtlose Ilngerech-
tigkeit vorgeworfen. Niemand belehrt ihn hierüber! Nein! Er ist der
Philister! Er hat jenes Hottentottengehirn, das nur glaubt, was es sieht,
daher — leider! — nicht sehen kann, was es glaubt; also auch nicht glauben
kann! Er ist vorsintflutlicher als die Stiftsdame, die Murillo anbetet (denn
daß Michelangelo ein besessener Dilettant und Dürer an den Stoff verkauft
war, — der Primaner weiß es heutzutage!). Der Mann gehört also zu den
„Bürgern", deren Tabulatur so eichenholzen ist, daß sie meinen, die Kunst
gebäre den Künstler, nicht aber der Künstler die Kunst. Bis Hauptmann
(einschließlich) können sie noch lesen, bis Strauß (in Gottesnamen) noch
hören, bis Liebermann, vielleicht bis zu Klimt (nicht ohne sich die Ohren
zu kratzen) schauen, — denn, als diese kamen, waren sie noch Söhne, und
nicht schon Väter. Was aber nach diesen auftrat, . . . „Werft sie auf den
Mist!" schreien die Söhne.

All dies klingt satirisch, und ist doch nüchterner Ernst. Klingt böse, und
ist doch nicht gefährlich. Gefährlich wird es erst, wenn der Altere etwa
Kunstkritiker ist und zu predigen anhebt. Wenn er den „Neuen" mit dem
Pathos eherner Äberzeugung vorwirft: das Kunstgesetz, das sie übertreten
haben; den Vorwurf, den sie verfehlt haben; die Form, die sie außeracht
gelassen haben; überdies aber die Nichtswürdigkeit ihrer jämmerlichen In-
dividualitäten, die sie all Dies verfehlen und außeracht lassen ließ; und
wenn er sie endlich, zum öligen Schlusse, nicht ohne Drohung und mit
vielen Tränen beschwört, um Gotteswillen doch endlich, erstens: zu lernen,
wie und was man vor MiO gemalt hat; und, zweitens, ebendies und ebenso
denn auch wirklich zu malen! „Gefährlich" ist solches nun gewiß nicht etwa,
weil die Iungen die Predigt zerknirscht befolgten, und zum schallenden
Hohngelächter des gerechtfertigten Kritikers peinlich offenbar würde, daß von
hundert „Erpressionisten" ebenso nur drei malen können, wie seinerzeit von
hundert Naturalisten nur drei malen konnten. Sondern, weil bei der —
ich sage es ja nicht aus Bosheit, sondern aus Verzweiflung — weil bei der
bodenlosen Kritiklosigkeit alles kritiklesenden Publikums nun tzunderttau--
sendc dem den Expressionismus verdammenden Kritiker, Hunderttausende
dem den Michelangelo verdammenden Expressionisten nachplappern, alle

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