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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

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Heft 9 (Juniheft 1924)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0140

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Diese blieben unterdessen nicht ruhig. Droben beim Hause Iohn Micky's
konnte man sie hören, wie sie dem Leide ihres Herzens durch Singen
Lust machten. Eine große Menschenmenge war vor der Polizeistation
versammelt, um ihnen zuzuhören, darunter auch die sechs Kesselslicker.

„Das ist meine Meinin", sagte einer der Männer, wie die Stimme
einer Frau vernehmbar wurde. „Keine Spur", meinte ein anderer, ,„das
ist ja meine Kitty! Ich würde ihre Stimme auf eine Meile hin erkennen."
So verbrachten sie die Zeit. Auf einmal kam ihnen Iohn Micky nach.

„Kommt", rief er, „und nehmt um Gottes willen die sechs Schreihälse
mit euch, die ihr oben bei mir gelassen habt!"

Die Kesselflicker blickten einander an, dann gingen sie zum Hause Iohns.
Dort erwartete sie ein schriller, kräftiger, dnrchdringender ünd, wie sie bald
herausfanden, unermüdlicher Gesang. Die Sechse taten ihr bestes, um die
Schreihälse zur Ruhe zu bringen, wie es Iohn Micky verlangte, aber der
einzige Erfolg war der, daß sie immerfort nach ihrer „Mammi" schrien.

Bald wurde den Kesselflickern die Sache zu dumm. Sie versuchten alles
mögliche,.von Pfennig-Zuppen angefangen, bis zu Whisky und Tabaks--
rauch, um die Kiüder zu beruhigen, aber alles umsonst. Endlich nahm
jeder von den Kesselflickern sein Kind auf den Arm und zog damit hinun-
ter zur Polizeistation. Die Polizisten kamen zum Tore, während sich die
Männer alle an öer Außenseite der kleinen Schutzmauer versammelten.

„Was wollt ihr hier?" fragte der Wachtmeister.

„Ilnsere Kinder hier rufen nach ihren Müttern!" erwiderten jene.

„Haben sie denn nicht ihre Väter?" meinte der Wachtmeister.

„Das schon", antworteten sie, „aber an uns liegt ihnen blutwenig."

„Fort mit euch!" sagte der Wachtmeister, und schlug ihnen das Tor vor
der 'Nase zu.

„Bei den zerbrochenen Töpfen Irlands", riefen die Kesselflicker, wie sie
die Straße hinaufwanderten, „wir sind übel daran!" Keiner von ihnen
sprach ein Wort.

Sie kehrten wiedernm zum Hause Iohn Micky's znrück, setzten die sechs
Kinder auf sechs Fässer und bestellten sich einen weiteren Trunk. Wäh-
rend sie tranken, standen sie gegenüber den Schreihälsen und überlegten.

Das Geschrei begann bald von neuem und wurde immer lauter und
durchdringender. Die heiseren und quietschenden Stimmen vollführten eine
derart entsetzliche Musik, daß den MLnnern schließlich die Gednld nus-
ging. Sie packten ihre Kinder und eilten mit ihnen hinunter, verfolgt von
der ganzen Straßenjugend. Bei 'der Mauer der Polizeistatiou machten
sie Halt und gingen hinein, während die Leute draußen den Kopf über die
Mauer steckten. Als die Polizisten die Kesselflicker kommen sahen, schlossen
sie von innen die Hanstüre. Aber jene kümmerten sich nicht darum, son-
dern kamen alle herein. Zwischen der Mauer und der Polizeistation
befand sich ein kleines grünes Wiesenfleckchen. Ieder von den Kessel-
flickern bettete sein Kind ins grüne Gras, zog sodann seinen Rock aus und
legte ihn fein säuberlich auf den Boden. Hierauf gingen die Sechse auf-
einander los und bearbeiteten einander Kopf und Körper aufs heftigste
mit den Fäusten. Sie schlugen und stießen darauf los und johlten und
schrien, so daß es schien, daß jeder von ihnen auf nichts anderes bedacht
sei, als seinen Gegner so rasch als möglich ins Ienseits zu beförderm
Die Leute in der Polizeistation hatten ihnen zugesehen, und als sie das Unheil
draußen bemerkten, sprangen sie auf, öffneten die Türe nnd stürzten alle
 
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