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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1924)
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Fischer, Eugen Kurt: Klopstock: zu seinem zweihundersten Geburtstag am 2. Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0163

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Ich sah sie an: mein Leben hing
Mit diesem Blick an ihrem Leben:

Ich fühlt' es wohl und wußt' es nicht.

Doch lispelt' ich ihr sprachlos zu
And rauschte mit den Rosenbändern:

Da wachte sie vom Schlummer auf.

Sie sah mich an, ihr Leben hing
Mit diesem Blick an meinem Leben,

Und um uns ward's Elysium.

Klopstock weilt stets in einem Heiligtum, wenn er dichtet: seine Leidenschaft
ist dann zur Glut gläubiger Inbrunst geläutert, sein Iasagen zur tzerrlich-
keit der Schöpfung wird ein religiöser Akt; so wie alle echte Musik
religiös ist — es gibt eigentlich gar keine besondere religiöse Musik, das
wird bei Bach am deutlichsten -—, so ist alle echte Dichtung, vorab das Ge-
samtwerk Klopstocks, zutiefst religiös. Er sieht kein Ding, kein Geschöpf
vereinzelt oder in nur sinnlichem Zusammeuhang, er erlebt keine Momente,
sondern nur Ewigkeitsbilder. Wer nicht den laugen Atem hat, mit Klop-
stock Weltenräume und Ewigkeiten zu durchschreiten, den muß er lang-
weilen, vollends dann, wenn um der tzeiligkeit des Gegenstandes willen
allzuweit gegangen wird in der Entsinnlichung und Entbildlichung, mit
andern Worten, wenn im Drang nach reiner Expression die Gestalten und
Gesichte so sehr verblassen und der Leser, der Hörer der mystischen Offen-
barung nicht mehr zu folgen vermag, wenn er nur noch Wortgeläute hört,
hinter dem in weiter Ferne das Wunder der Verkündigung verklingt.

Der „langweilige" Klopstock, der lederne, der pedantische, der pünkt-
lich seine Versmaße über jedes Gedicht sstzt — wie hat ihn Heine darob
verhöhnt! — der ist Legende, böswillige Erfindung. Klopstock wollte viel,
zu viel vielleicht, die Erhöhung der Dicht-Kunst zur Kunst des reinsten Ge-
fühlsausdrucks, die Verdrängung also der Musik von ihrem Herrscherplatz.
Er träumte von der Herrlichkeit antiker Wort-Kunst und erneuerte sie,
heiligte und vertiefte sie aus dem Geiste seines Volkes. Er hatte den erha-
bensten Begrisf von der Sendung des Dichters und erhoffte sich eine Wie-
dergeburt Europas aus dem Geiste der Dicht-Kunst. Nur die ganz großen
Gegenstände waren ihm würdig der künstlerischen Gestaltung. Wenn
man ihn selbstgefällig, gar hochmütig nannte, so übersah man, daß er sich
Priester fühlte des Herrn und zum Profanen Distanz halten mußte, wollte
er sich selbst und seiner Sendung treu bleiben.

Viele Menschen von heute suchen das DLmonische, suchen das Patholo-
gische, den individuellen Knick in der Persönlichkeit, aus der ihre Tragik
fließt. Klopstock schuf über dieser Sphäre des Schicksalbedingten. Er machte
die Seelennöte mit sich allein ab und diente nur dem Ewigen im Zeitlichen.
Wer willens ist, mit sich ernst zu machen, wer Dichtung nicht als Unter-
haltung nimmt, sondern als Heiltum, der sindet heute wie einst zu Klopstock
und durch Klopstock zu sich selbst und zum Erlebnis des Ewigen.

Eugen Kurt Fischer
 
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