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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI issue:
Heft 11 (Augustheft 1924)
DOI article:
Laßmann, Alfred: Das Problem des deutschen Bauernstandes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0219

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anders war. Vom heutigen und künftigen Bauerntum können wir mit
Ernst nur sprechen, wenn wir die Quellen der besonderen bäuerlichen
Kultur und damit die lirsachen in Betracht ztehen, die den gegenwärtigen
Auflösungsprozeß, das Verschwinden der alten Bauernkultur, hervorriefen.
Wer dieses Entscheidende vernachlässigt, gerät allzuleicht in eine sentimen-
tale Romantik hinein, verkennt völlig gegebene Entwicklungsnotwendig--
keiten und Entwicklungsmöglichkeiten und muß dann die Lösung des Kultur-
problems rein äußerlich darin suchen, daß man die Ausdrucksformen,
die als wertvoll erscheinen, erhalte und ernsuere. Der Großstädter vor
allem unterliegt dieser sentimentalen Romantik leicht, da er im Bauern-
tume der Vergangenheit gerade das sucht und findet, was ihm verloren
gegangen ist: enge Verbindung mit der Natur, ganze Arbeit und Einheitlich-
keit des äußeren und inneren Lebens.

Die bäuerliche Kultur der Vergangenheit ist etwas Gewordenes und
war zu jeder Zeit Veränderungen unterworfen. Auch in der Vergangenheit
blieb der Bauer niemals von den Lebensformen anderer Stände unbeein-
flußt. Immer strömen Einflüsse von den höheren Schichten auf die unteren
über, besonders aber dann, wenn die unteren in ausgesprochener wirtschaft-
licher Abhängigkeit von den oberen leben.

Diese Formen höherer Schichten, gleichgültig ob es der Adel oder das
Bürgertum war, wurden in der bäuerlichen Gesellschaft auf bestimmte Art
umgeformt, sie wurden vereinheitlicht, mit traditionellen Formen vermischt
und nun bindend für den Bauernstand. Naumann hat sie gesunkenes
Kulturgut genannt. Doch bestehen neben diesem übernommenen Kul-
turgute in Kleidung, Wohnung, Einrichtung, Lied, Tanz, Musik usw. noch
Elemente, die ihre Begründung nur in der Wesenheit des Bauern selbst
finden. Nnser Problem nun wird nicht sonderlich erhellt, wenn man den
größeren oder geringeren Wert der einzelnen Formen hervorhebt, wir
müssen vielmehr die Frage nach dieser Wesenheit und Geistigkeit des Bauern-
standes aufwerfen. Dies aber sind nicht unwanbelbare Größen, sondern
beide sind der Entwicklung fähig und der Veränderung unterworfen. Denn
jede Veränderung im Lebensraume des Menschen, in dem er seinen Selbst-
erhaltungstrieb zu befriedigen trachtet, verlangt eine Neueinstellung zu
neuen Faktoren, bedingt also eine wenn auch anfangs kaum merkliche
Änderung seiner Eeistigkeit. Iede wirtschaftliche Veränderung, jedeLrhöhung
oder Minderung äußerer Einflüsse ruft im Einzelnen, wie in einer Ge-
meinschaft, eine Nnderung der Geistigkeit hervor. Sie findet ihren
sichtbaren Ausdruck in dem, was wir Kultur nennen. Wertvolle Kultur
aber ist nur dort vorhanden, wo Geistigkeit und Form einander entspre-
chen. Das ist nicht jederzeit von selber der Fall. Vielmehr ist jeder Form
ein gewisses Beharrungsvermögen eigen. Ändert sich nun die Geistigkeit,
so muß zwischen ihr und der alten, in der Gewohnheit verwurzelten und
daher beharrenden Form des Brauchtums eine Dissonanz entstehen. Die
neue Geistigkeit drängt zu neuen Ausdrucksformen, die ihr entsprechen.
Dadurch verliert die alte Form nach und nach an Bedeutung und wird
aufgegeben. In diesem Prozesse liegt das Wesen der Entwicklung.

Bezeichnend genug, daß es auch im Bauerntume die durch Gewohnheit
noch nicht gebundene Iugend ist, die das alte Brauchtum zuerst aufgibt
und sich neuen Formen zuwendet. Nnd diese neuen Formen sind in jeder
Abergangsperiode Lehnformen, und zwar entlehnte, dem Bauerntum bis
dahin fremde Lebenssormen von jenen Ständen, die über dem Bauern-
 
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