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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1924)
DOI Artikel:
Laßmann, Alfred: Das Problem des deutschen Bauernstandes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0224

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Die dritte große Boraussetzung der alten Bauernkultur war die Zwrf°
gemeinschaft. Nur durch und in ihr war Sitte und Brauch möglich. Der
Gemeinschaftsgeist war das ungeschriebene Gesetz des Dorfes, bestimmend
für das Tun und Lassen des Einzelnen. Durch die Aufhebung des Unter.
tanenderhältnisses und die Aufteilung der Allmende ging die alte Dorf--
gemeinschaft zugrunde. Die Dorfgenossen hatten kein gemeinsames wirt°
fchaftliches Interesse mehr. Eine neue Allmende des Bodens aber ist heute
ebensowenig möglich wie ein neues Untertanenverhältnis, und doch ist
die Voraussetzung des Werdens einer neuen Bauernkultur die Dorfgemein-
schaft. Im bäuerlichen Leben überwiegt, wie wir sahen, das wirtschaftliche
Interesse. Um die neue Dorfgemeinschaft zu schaffen, ist es daher nötig,
gemeinschaftliche wirtschaftliche Interessen zu bilden, durch die die Bewohner
eines Dorfes aneinander gebunden und voneinander abhängig werden.
Den Weg dazu bieten die Genossenschaften. Aber nicht Genossenschaften
nur einer Schichte des Dorfes, sondern der gesamten Dorfbewohnerschaft
in Kredit-, Produktions- und Konsumgenossenschaften, zu gemeinschaftli-
chem Einkaufe und Verkaufe, zu gemeinschaftlicher Verwertung landwirt-
schaftlicher Produkte und gemeinschaftlichen gesundheitlichen und kulturellen
Einrichtungen. Dadurch wird die Abhängigkeit vom städtischen Kapitale
aufgehoben, das Dorf auf sich und seine eigene Kraft gestellt, das Selbstbe-
wußtsein des Standes gehoben. So entsteht eine neue Schicksalsgemein-
schaft durch örtliches Versicherungswesen, durch gegenseitige Hilfe in Geldan-
gelegenheiten, kurz auf allen wirtschaftlichen Gebieten.

Nun lebt sich aber jede Gemeinschaft auch in der Geselligkeit aus; daher
ist die Pflege der Geselligkeitsformen auf dem Dorfe in Gemeindeabenden,
Spielen, Festen, Pflege von Musik, Gesang von ausschlaggebender Bedeu-
tung. Das gleiche religiöse Bedürfnis findet nach wie vor seine Befriedi-
gung in der Dorfkirche. Die Gemeindeschwester oder die Gemeindepflegerin
als Dorfangestellte bildet einen Mittelpunkt zur Befriedigung vor allem
der weiblichen Bedürfnisse; kurz: alles was irgendwie auf wirtschaftlichem,
sozialem oder geistigem Gebiete den Menschen eines Dorfes gemeinsam
sein kann. müßte gepflegt werden, um die neue Dorfgemeinschaft entstehen
zu lassen.

Das ist die Gesamtrichtung der Kulturpolitik, wie sie
sich aus der Betrachtung des Entstehens der alten Bau-
ernkultur und des Wesens heutiger Bauernschaft ergibt.

Für sein religiöses Leben hat der Bauer in der Kirche seinen sichtbaren
Ausdruck. Für sein weltliches hatte er bis jetzt keinen als das Wirtshaus,
das, wie der Kaufladen, private Geschäftsunternehmungen sind. Nun
spielt im Leben jeder Gemeinschaft der Ort, wo diese Gemeinschaft sich
auswirken kann, eine entscheidende Rolle. Aus dieser sozio-psychologischen
Bedeutung des Ortes ergibt sich die Notwendigkeit, auch für das weltliche
Gemeinschaftsleben einen bergenden und anregenden Raum zu schaffen.
Das Bedürfnis nach einem Ort, wo die gemeinschaftlichen weltlichen In-
teressen ihren Mittelpunkt haben, wo die Genossenschaft ihren Sitz hat, die
Gemeindepflegerin wirkt, wo die Gemeindeabende, Feste und Spiele abge»
halten werden, wo der Bauer auch Zeitungen und Zeitschriften und Bücher
lesen kann, die seiner Erlebnisfähigkeit entsprechen. Ein solcher Ort ist das
G e m e i n d e h a u s.

Nicht darum kann es sich handeln, festzulegen, wie die künftigen Lebens-
iormen des Bauerntumes aussehen sollen. Kulturpolitische Arbeit kann
 
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