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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 35.1992

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Nr. 4
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Aktuelle Themen
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Bauer, Anton: Ziele und Inhalte einer zentralen Lehrerfortbildung im Fach Latein
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https://doi.org/10.11588/diglit.35880#0169

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multikulturellen Gesellschaften interessiert —, doch gibt es immer hartnäckiger werdende Kriti-
ker, die uns, aber auch den Bildungsplanern beispielsweise in den neuen Bundesländern die Fra-
ge stellen: Muß man wirklich Latein lernen, um sich die Antike zu erschließen? Oder um es mit
dem o.g. Wolf Schneider zu sagen: ,,Wie viele von denen, die Luthers Bibel lesen, kommen auf
die Idee, dem hebräisch-griechischen Original nachzutrauern?"^ Ja seiner Meinung nach
blockiert der Lateinunterricht durch zeitraubendes Einpauken sprachlicher Regel- und Unregel-
mäßigkeiten sogar entscheidend den wertvollen Zugang zur Antike, da diese Stunden etwa ei-
nem Sachfach wie Kultur- und Literaturkunde sinnvoller zugute kommen könnten. Sicher ist es
gerade hier eine wesentliche Aufgabe der Lehrerfortbildung, die Fachvertreter vor Ort mit über-
zeugenden Argumenten, Beispielen und Modellvorstellungen auszurüsten, um den Sinn des ho-
hen Lernaufwandes dieser noch dazu als unangenehmes Risikofach geltenden Sprache den El-
tern, den Schülern, der interessierten Öffentlichkeit, ja ab und an sogar den manchmal neidisch
auf das hohe Stundenkontingent blickenden Kollegen der eigenen Schule überzeugend klar zu
machen. Denn schließlich hört und liest man in dieser Zeit eines stark zunehmenden Fachutilita-
rismus immer häufiger die Forderung: Jeder Stoff muß nachweisen, daß er nützlicher ist als derje-
nige Stoff, der in derselben Zeit seinetwegen nicht vermittelt werden kann. Dieses eine Argument
mag symptomatisch für die vielen Aspekte, unter denen man die Begründung für das Fach nun
abhandeln könnte, aufzeigen, was Lehrerfortbildung zu leisten hat.
Natürlich sind wir vom Wert des Lateinischen überzeugt, natürlich begrüßen wir ,,die hermeneu-
tische Erschließung geistiger Objektivationen"^, natürlich motivieren wir zum ,,Vergleich von
gegenwartsbezogener Selbsterfahrung und vergangenheitsbezogener Fremderfahrung"^, und
selbstverständlich verteidigen wir die durch das Lateinische unserer Überzeugung nach beim
Schüler entwickelten Sekundärtugenden wie Genauigkeit, Ausdauer, Erkennen von Ordnungs-
strukturen, Fähigkeit zum Analogieren, bewußtes Lernen und Umsetzen von Regelmechanis-
men, Abstraktions- oder Reflexionsfähigkeit. Und dies wird auch in Zukunft das Basisvokabular
eines jeden Fachbetreuers sein, der Eltern vom Sinn des Lateinischen überzeugen will und viel-
leicht sogar von der Nützlichkeit im allgemeinen, doch vom Nutzen im konkreten war immer
noch nicht die Rede - und hier, um bei dem Beispielsfall zu bleiben, muß die professionelle Leh-
rerfortbildung einsetzen und ein in der Literatur bisher stets stiefmütterlich behandeltes Gebiet
anhand von Modellen aufbereiten. Zusätzlich zu der landesüblich gewordenen Tradition, auf
den sogenannten Bildungswert des Lateinischen zu verweisen, muß die Lehrerfortbildung gerade
denjenigen Altphilologen fundierte Argumentationshilfen liefern, die die Zusammenhänge zu
den am Gymnasium gelernten modernen Fremdsprachen und die Ausbeutbarkeit des Lateini-
schen für das Erlernen des Englischen, Französischen^, Spanischen oder Italienischen bisher
noch nicht im Blick hatten. Schließlich werden durch die romanische Muttersprache Latein viele
indogermanische Formalstrukturen der an unseren Schulen angebotenen Tochtersprachen Fran-
zösisch, Spanisch, Italienisch, aber auch der Mischsprache Englisch grundgelegt, und zwar in der
Regel erheblich kontrastklarer und trennschärfer als dies alleine im Vergleich etwa von Englisch-
Deutsch oder Französisch-Deutsch möglich ist. Der sogenannte konkrete Nutzen besteht also im
Wiedererkennen von sprachlichen Phänomenen in den Tochtersprachen, denen die Mutterspra-
che Latein wie eine Folie modellhaft unterlegt werden kann. Eine kleine Auswahl von Phänome-
nen, die — bildlich gesprochen — mit dem lateinischen Dietrich meist auf den ersten Blick deko-
diert werden können, mag dies exemplifizieren^; ich nenne A.c.L, das Gerund, die Partizipial-
konstruktionen einschließlich abl. abs. und p.c., die Tempuskategorien, die satzsemantische Be-
deutung aller Pronominalkategorien, Kasusanalogien wie etwa gen. obi., gen. subi., gen. quäl.,

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