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Bibliotheca Hertziana [Editor]; Bruhns, Leo [Honoree]; Wolff Metternich, Franz [Honoree]; Schudt, Ludwig [Honoree]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0060

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56

Hildegard Giess

stark hervorgehoben, auf der Wiedergabe des Sarkophages in Nimes hingegen verschwunden. Dem in
Wirklichkeit etwas beschädigten nackten Fuße des Petrus wurde eine Sandale anretouchiert, die auf dem
Subsellium eingeritzte blieb unbeachtet.
Dieses Motiv der gelösten Sandale möchten wir mit der allegorischen Ausdeutung der Fußwaschung durch
Origines in Verbindung bringen, der da sagt, daß es für die Apostel, die den Weg des Heils beschreiten
sollten, nicht genügt habe, das Schuhwerk zu lösen, wie dies Moses und Josua getan hatten, sondern es
war notwendig, daß Jesus selber die Apostel reinigte und heiligte, daß er ihnen die Füße wusch und
abtrocknete mit dem Linnen, das er sich umgetan hatte72.
Die Bildkomposition der Sarkophagplastik findet sich mit ganz geringen Änderungen wieder in den
illuminierten Handschriften der Reichenau (Abb. 28)™. Nur wird das Motiv des Schuhwerkablegens hier
nicht mehr in der abgekürzten Form der Sarkophagplastik wiedergegeben, sondern durch die uns
bekannte Figur des Sandalenlösers. Allerdings scheint deren symbolische Bedeutung einigen Malern
dieser Schule nicht mehr bekannt gewesen zu sein - sie waren ja auch gewohnt, Christus und seine Jünger
barfuß darzustellen. So umgreifen die Hände des Apostels den aufgestellten Fuß nur mit vager Geste.
Dieses Mißverständnis ist aber gerade ein Zeichen dafür, daß hier eine viel ältere - also in die Spätantike
zurückreichende - Vorlage kopiert wurde74.
Das byzantinische Elfenbein aus dem 10. Jahrhundert in Berlin (Abb. 29) zeigt als frühestes ein Bild-
schema, das sich nicht nur in der mittelalterlichen Kunst des Ostens, sondern auch im Abendlande,
namentlich bei den italienischen Trecentisten, großer Beliebtheit erfreut hat. Die Apostel sind um eine
breite Bank gruppiert, der eine hat den linken Fuß aufgestellt, um seine Sandale zu lösen (Hermestypus),
ein zweiter, ähnlich dem Moses der byzantinischen Psalterillustration, sitzt und streckt die Hand nach
den Riemen der Sandale aus.
Andere Darstellungen akzentuieren das Motiv der abgelösten Sandale durch Farbe und Form75. Auf den
Mosaiken von Monreale76 wird neben der Handlung des Sandalenlösens auch die abgelegte Sandale
dargestellt, so wie wir dies bereits von der Horebszene her kennen.
Man sieht, die Vokabeln der Bildsprache sind bei Mosesdarstellung, Taufszene und Fuß Waschung die
gleichen; als Träger der gleichen Botschaft sprechen sie aus den verschiedenen Formgefügen zu uns.
Der von den Kirchenvätern angewandten Symbolik liegen jahrtausendealte Vorstellungen zugrunde.
Sie stammen aus einer Zeit, in der die Dinge noch nicht zur Leblosigkeit verdammt waren und der
Mensch zu seiner Umwelt reichere, differenziertere Beziehungen unterhielt. Der Sensibilität des Künstlers
mochten jene Vorstellungen vertraut geblieben sein, auch wenn sie nicht immer bis in die Helle des
Bewußtseins hineinreichten oder vom Worte her eine Ausrichtung erfahren hatten. So kann es denn
Fälle geben, in denen es unmöglich ist festzustellen, ob die Symbolik des Sandalenlösens bewußt ange-
wandt wurde, oder ob es sich nur um die Weiterführung eines übernommenen Motives handelt. Den
bestimmenden Einfluß des Wortes auf die Bildgestaltung der Vorlagen glauben wir aber bewiesen zu
haben.
Ein letztes Beispiel sei noch angeführt, das die Verknüpfung von jenem „Solve calceamentum“ des
Alten Testamentes und seiner allegorischen Ausdeutung mit der neutestamentlichen Szene der Fuß-
waschung zeigt. Nicht durch Anwendung der gleichen Figuren wird dabei die Verbindung zustande-
72 Origines Comment. in: Joan. Tom. XXXII, Migne PG 14, Kol. 759: „Atque Moses quidem opus habebat solvere calceamentum
ex pedibus suis, quoniam is locus ad quem pervenerat, et in quo stabat, terra sancta erat; similiter et Jesus nave filius. At vero,
Jesu discipulis ut par hanc viventem animatamque viam perambulent, non solus satis est in via calceos non habere, cum hoc
Jesus discipulis suis praeceperit; sed ad hanc ipsam viam conficiendam opus etiam habebant lavari a Jesu.“
73 1. Egbert-Codex, Trier, Stadtbibi. 24, fol. 77v, 10. Jh. (Abb. 28). - 2. Evangeliar Ottos III., München, Staatsbibi. Clm 4453,
fol. 237r, um 1000; Abb. G. Leidinger, Das sog. Evangeliarium Kaiser Ottos III., München s. d., T. 47. — 3. Evangeliar Hein-
richs II., München, Staatsbibi. Clm 4452, fol. 105v, 11. Jh.; Abb. G. Leidinger, Das Perikopenbuch Heinrichs II., München s. d.,
T. 17. — Das ikonographische Schema der Reichenau (Fußwaschung mit Sandalenlöser) findet sich auch in einer Echternacher
Handschrift: Evangelistar Heinrichs III., Bremen, Stadtbibi, b 21, fol. 57v, 11. Jh.
74 Vgl. A. Boeckler, Bildvorlagen der Reichenau, Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 11 (1940),. S. 8: „Wir wissen ferner, daß im
Egbert-Codex eine spätrömische Vorlage des 4./5. Jahrhunderts in der Art der Quedlinburger Itala und des Vergilius Vaticanus
maßgebend wird.“ In: Das Goldene Evangelienbuch Heinrichs III., Berlin 1944, S. 61, Anm. 1, bezeichnet Boeckler allerdings den
Sandalenlöser als Element der östlichen Ikonographie, ohne jedoch nähere Gründe dafür anzugeben.
75 Besonders deutlich bei der Majestastafel des Duccio, 13. Jh., Siena, Domopera; Abb. Foto Alinari 36735.
76 Monreale, Dom, 12. Jh., Foto Anderson 29692.
 
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