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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0066

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Wilhelm Messerer

entsteht, die gegliederte Fläche.“ Es sind aber auch diese Figuren „haltlos“16 im beschriebenen Sinn.
Erst die Mosaiken von S. Marco ordnen ein Bildganzes, bis in den letzten Faltenzug, straff von über-
geordneten Prinzipien her17. Vorbereitet aber ist dies schon in S. Prassede, wo Christus nicht nur der
mittlere und größte ist, sondern primär die Achse der ganzen Apsis bildet.
Daß die Figur von einem Übergeordneten her konzipiert ist, wird besonders deutlich bei Reihen: den
Aposteln im Juvenianus-Codex, den Vierundzwanzig Ältesten auf dem Apsisbogen von S. Prassede.
Der durchgehende Zusammenhang bestimmter Figurenteile untereinander (der Arme auf den Mosaiken,
der Gewandmotive in der Leibesmitte auf den Miniaturen) wird stärker empfunden als die Ganzheit jeder
Figur in sich. Eine solche Figurenreihe wirkt wie ein einziges locker gewebtes Band. Von der Massierung
und der Richtungsgleichheit spätantiker Reihen, wie der auf dem Triumphbogen von S. Paolo fuori le
mura, unterscheidet sich diese Art im Grunde mehr als vom dynamisch gesteigerten Gleichtakt otto-
nischer Kollektivfiguren; und doch fehlt ihr, was diese von innen her bedingt: die allen Figuren gemein-
same „Richtungsgewalt“, die die Gebärden rhythmisch gleichordnet. Hier handelt es sich um eine bloß
„begriffliche“ Darstellung der Gemeinschaft, gleichsam um ein Wort im Plural an Stehe einer Auf-
zählung.
Besonders deutlich wird dieses Gestalten bei der Initiale A am Beginn der Apokalypse (Abb. 33), eine
Darstellung zu Offenbarung 1,1: „Er (Gott) ließ sie (die Offenbarung) durch seinen Engel seinem Knechte
Johannes kundtun.“ Johannes rechts empfängt mit verhüllten Händen das Buch von dem Engel, der
von Christus „gehalten“ wird - genauer: der Engel, die kleinste Figur, befindet sich „in der Luft“ vor der
überlängten Gestalt Christi, als ob ihn dieser vor sich hielte; doch ist kein Anfassen zu sehen, nur Christi
Rechte mit erhobenem Zeigefinger, also das Anordnen, das „Kundtun-lassen“ nach dem Text. Der
Engel, durch den Christus das Buch überreicht, wird anschaulich zu einem Anhängsel fast wie das Tuch
über den Händen Johannis. Das entspricht genau der Art, wie in der Apsis von S. Prassede die Heran-
geführten von den empfehlenden Heiligen nicht nur, wie schon in SS. Cosma e Damiano, um die Schulter
gefaßt werden, sondern wie in die Luft gehalten scheinen. Die „Abhängigkeit“ des Menschen vom heiligen
Protektor wird sinnfällig. Es entsteht eine Bildformel, die man mit einem zusammengesetzten Wort aus
Stamm und abhängiger Silbe vergleichen könnte.
Die Zusammenstellung mit der großformatigen Bildkunst berechtigt also, den Juvenianus-Codex dem
„Römischen Kunstkreis“ des ersten Viertels des 9. Jahrhunderts zuzuordnen. Offen muß allerdings
noch bleiben, wie weit sich dieser Kunstkreis erstreckt (die Grenzen der Kunstlandschaft gegenüber der
süditalischen, uns durch S. Vincenzo al Volturno überlieferten Kunst wie zur norditalienisch-karo-
lingischen lassen sich noch nicht festlegen), und auch die absolute Datierung ist damit noch nicht ge-
sichert; der Codex, als offenbar im Rang auch innerhalb des Römischen sekundäres Werk, könnte auch
noch zu einer Zeit entstanden sein, in der das Apsismosaik von S. Marco (827-844) oder selbst die
Himmelfahrt Christi in S. Clemente (847-855) zu den führenden Werken gehörten.
Durch den Vergleich von Miniaturen und großer Malerei wird aber auch eine breitere Ausgangsbasis für
die Analyse dieser Kunst gewonnen: einer nüchternen, eigentlich unmusischen „Kunst“, der mit der
alles durchdringenden und prägenden Kraft die Strukturierung im eigentlichen Sinne fehlt, nicht aber
ein bestimmendes Prinzip. Es läßt sich etwa mit dem Worte ,,Begrifflichkeit“ umschreiben, insofern ein
übergeordnet Begreifendes sowohl der formalen Bildordnung als auch der gedanklichen Kategorie (in
der Gestaltung einer Reihe beides in einem) für die zeichenhafte Figurenwelt bestimmend ist18. So
begrenzt und, im europäischen Rahmen, provinziell auch dieses Gestaltungsprinzip ist, es ist in sich nicht
ohne Konsequenz, es hat die Schwächen seiner Vorzüge19 und es ist ein wesentliches Ingrediens späterer
mittelalterlicher, besonders italienischer Kunst20.
16 Ebd., S. 29. 17 Vgl. Th. Hetzer, Gedanken um Raffaels Form, Frankfurt a. M., o. J., S. 41.
18 Eine Untersuchung der Wand von S. Prassede würde zum gleichen Ergebnis kommen. Bei der geringen Höhe der Säulenstel-
lungen in der Wand, dem weiten Abstand der Säulen kann die Wand weder vom Prinzip von Stütze und Last noch vom Verhältnis
körperhafter Glieder zueinander und zum umgebenden Raum her interpretiert werden, sondern nur von der Unterteilung einer
gegebenen (wenn auch maßstäblich nicht in sich gefestigten) Fläche her.
19 Wollte man bei den hier behandelten Werken, ihrer geringen Qualität wegen, eine Analyse ihrer künstlerischen Struktur für
sinnlos erklären, so würde man Werken höheren Ranges unrecht tun. Nicht die Tatsache, daß überhaupt Gestaltungsprinzipien
wirksam sind, hebt diese bedeutenden Werke heraus, sondern die Rangstufe dieser Prinzipien.
20 Vgl. Hetzer, a. Anm. 17 a. O.
 
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