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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0373

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Berninis Hl. Longinus

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Franziskus von Germain Pilon für die Valoiskapelle
in St. Denis gegenüber dem Grabmal Heinrichs II.
und der Katharina von Medici hervor8. Nach ver-
einzelten Vorläufern unter italienischen Plastikern9
hat Bernini den Hingabegestus frühzeitig aufge-
griffen : im gebreiteten Händepaar seines Laurentius
läßt er Märtyrerpathos ausstrahlen; neben der Lin-
ken, die zugleich hilft, den Liegenden zu stützen,
bietet sich die rechte Hand, mit ermattender Kraft
angehoben, frei nach oben geöffnet dar, abgestimmt
auf den sehnsüchtigen Auf blick des Antlitzes10. Dar-
an entsann sich der Künstler wieder beim Longinus,
um nun freilich dessen Gebärde zu größter Aus-
ladung zu steigern. Damit stellt sich die Figur auf
eine Pose ein, die etwas Zeichenhaftes an sich hat,
gerade Longinus und sein Ergehen sprechend cha-
rakterisiert. Denn wie bei Germain Pilon, Greco und
Federico Barocci der hl. Franziskus in der Szene der
Stigmatisation durch hingebungsvolle Ausbreitung
der Arme seine Angleichung an den Kruzifixus zu
erkennen gibt, wie schon bei Giotto (Stefaneschi -Al-
tar), bei Piero della Francesca, bei Tizian und ande-
ren Johannes am Fuß des Kreuzes ähnlich agiert11,
so könnte Bernini im Sinn gehabt haben, seinen
Longinus dem Gekreuzigten anzuähneln, damit er
das Gegenüber des Kruzifixus fühlen lasse, ihn wider-
spiegle12. Im Kreuz ließ Bernini das Bronzetaber-
nakel gipfeln13. Wollte man den Heiligen aus dieser
Entsprechung lösen, so wäre ein zündender Funke
dahin, ginge die Gebärde ins Leere. Auch findet sie in dem Relief über dem Balkon ein zweimaliges
Echo, wo der große gewandete Engel die Lanze in dieselbe Lage bringt wie Longinus und das eine der
beiden Engelskinder den Verehrungsgestus und Aufblick des Heiligen wiederholt. Dies Leitbild gab Ber-
ninis Entwürfen für die Statue schon auf früher Stufe die Richtung.
Zwar blieb von den zweiundzwanzig Modellen, die der Bildhauer während seiner Arbeit dem bis 1635
in Italien weilenden Joachim von Sandrart zeigen konnte, „alle drei Spannen hoch, von Wachs“, keines
erhalten, wohl aber ein Bozzetto aus Terrakotta (Fogg Art Museum; Abb. 262)u. In dieser schlanken
Figur hat die Idee soweit Gestalt gewonnen, daß führende Motive feststehen, obgleich das Ausreifen
noch im Fluß war.
8 Jetzt in der Pariser Kirche St. Jean-St. Frangois. J. Babelon: Germain Pilon. Paris 1927, 64f., Nr. 17, um 1583; Katalog der
Ausstellung „Tresors d’Art des Eglises de Paris“ 1956, Nr. 61.
9 Niccolö Roccatagliatas hl. Stephanus in S. Giorgio Maggiore, 1539; L. Planiscig: Venezianische Bildhauer. Wien 1921, 598,
604 und 609 f.
10 Bellori: Vite, 1728, 163f. gelegentlich des hl. Andreas von F. Duquesnoy: „distende aperta la sinistra in espressione di
affetto e di amore divino nella gloria del suo martirio.“
11 F. Zeri: Pittura e Controriforma. Torino 1957, Abb. 83 u. 84.
12 Dieser schon von A. Riegl (Baldinucci, Vita des G. L. Bernini. Wien 1912, 94) ausgesprochene Gedanke ist von Auffassungen
wie derjenigen A. E. Brinckmanns (Handb. der Kunstwissenschaft: Barockskulptur. 3. Aufl. 1931, 198) verdrängt worden. Zu
dem Motiv der Angleichung an den Gekreuzigten erinnere ich an Lutz-Perdrizet : Speculum hum. salv., Tfl. 89 und 140. Bei
Bernini kennen wir den Gedanken aus seiner Zeichnung des Hieronymus im Gebet über einem Kruzifix, einer Variation von
Lorenzo Lottos in dem Täfelchen der Galleria Doria erhaltener Fassung (Brauer-Wittkower: Zeichnungen, S. 153, 1665).
13 H. Kauffmann: Berninis Tabernakel. Münchner Jahrb. d. Bild. Kunst, 6. Bd., 1955, 222ff. Auch als eine Umkehrung der
anfänglich auf dem Tabernakel projektierten Christusfigur kann Longinus verstanden werden.
14 J. v. Sandrarts Academie der Bau- usw. Künste (1675), hg. u. komm. v. A. R. Peltzer. München 1925, 286; der Bozzetto
im Fogg Art Mus. bekanntgemacht von R. Wittkower: G. L. Bernini. London 1955, 192.

262. Bozzetto der Longinus-Statue, Fogg Art Museum,
Cambridge Mass.


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