Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0374

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
370

Hans Kauffmann

Am Bozzetto ermessen, wir Art und Grad des letzten Reifeprozesses der monumentalsten Heiligenstatue
des Bildhauers. Denn auf diesen Bozzetto trifft die öfter vermerkte Vergleichbarkeit zwischen Berninis
Longinus und dem Hl. Andreas von Franyois Duquesnoy in höherem Maße als auf das Marmorwerk zu:
Geräumig umgibt der Mantel wie der Rand einer Muschel den aus vertiefter Mulde hervortretenden
Oberkörper, während die gelockerte Standweise Straffungen auf das Gewand überträgt und zu Seiten des
Spielbeins den kurzen Mantel in wehende Schwingung versetzt15. Solche Verwandtschaften können dafür
sprechen, daß Berninis Bozzetto in die früheren Dreißiger] ahre, wenn nicht gar in die vom Ausgang
des Jahres 1629 bis zum Sommer 1631 bezeugte Entwurfsarbeit zurückreicht16. Gut würde dazu das
fließende Faltenwerk des dünnen Gewandstoffs passen, das die Glieder anschmiegsam mit lang gestreck-
ten Bögen umschreibt; denn hierin zeichnet sich noch das Gepräge der Allegorien von der Gedenktafel
für Carlo Barberini aus dem Jahr 1630 (S. Maria Aracoeli) ab. Unverkennbare Ähnlichkeit verbindet den
Bozzetto schließlich mit der Statue der Markgräfin Mathilde und zumal mit dem Christus des „Pasee
Oves“-Reliefs (1633)17. Wir hätten demnach mit einem gewissen Zeitabstand zu rechnen, bevor Bernini
1634/35 den Marmor in Angriff nahm, der ihn bis zum Frühjahr 1638 festgehalten hat. In diese Voll-
endungsphase griffen neue Impulse ein.
Inzwischen hatte nämlich die Ritenkongregation von St. Peter 1633 über die Verteilung der vier
Statuen auf die Kuppelpfeilernischen nach den Rangstufen der Reliquien neu und endgültig befunden18.
Bei Erprobung originalgroßer Modelle im März 1632 hatte nur Francesco Mochis Veronika den Standort
inne, den sie immer behalten hat; dagegen war Longinus in der südöstlichen Nische errichtet worden,
in der wir den Andreas von Duquesnoy sehen, während dieser in der jetzigen Helenanische Andrea
Bolgis, Helena in der jetzigen Longinusnische gestanden hatte. Bellori hat von Klagen gesprochen,
mit denen Duquesnoy auf das Gebot der Umstellung reagierte, als habe man dem Flamen persönlich
schaden wollen19; er hatte seine Andreasstatue auf die Licht- und Sichtverhältnisse des nordwest-
lichen Pfeilers abgestimmt und sah sie nun den ungünstigeren Bedingungen der diametral gegenüber-
liegenden Pfeilernische ausgesetzt: ,, . . . mutargli il lume e la veduta, convenendosi ora girare per vederla
in faccia“ - entgegen der Gleichwertigkeit mehrerer verschiedener Ansichten im Manierismus ein deut-
liches Bekenntnis des „Klassizisten“ zur Frontalität und zur Annäherung der Plastik an Wirkungs-
weisen der Malerei. Wie aber Bernini seinen Longinus dem Übergang aus der südöstlichen in die nord-
östliche Nische, das heißt dem Seitenwechsel gemäß neu durchdacht und umdisponiert hat, tritt an der
Wendung zutage, mit der der Marmor von der Terrakotta abweicht und eine andere Seite hervorkehrt.
Der Bozzetto breitet die Figur parallel mit der Stirnseite ihrer Fußplatte flach aus, öffnet sich dabei aber
einem Einblick von rechts her: wir sehen in die Bucht zwischen einschwingendem Körper und nach-
wehendem Mantel und in die Schlinge um Brust und linken Arm hinein, und weil es nachschleift, ver-
stellt das Spielbein das Standbein nicht. Umgekehrt dreht die Marmorfigur ihre rechte Seite heraus:
das Körperbild stuft sich vom Helm bis zum vorgesetzten Fuß wie von der linken Hand zur rechten mit
der Lanze diagonal vor, eine schiefe Front, die darauf angelegt ist, zuerst von links her erblickt zu
werden und in die dominierende Vorderansicht überzuleiten. Beidemal sollte der aus dem Mittelschiff
in den Kuppelraum Eintretende - bis 1633 nach links, später nach rechts schauend - die ausgreifende
Komposition sogleich überblicken können. Komponierte Bernini schon seit der Äneas- und Anchises-
gruppe auf eine Hauptansicht hin, so klärte er nun noch eine Seitenansicht in der Weise durch, daß sich
das beherrschende Motiv möglichst eindeutig und konstant darböte. Diesen frühesten Zeugen solchen
Verfahrens, Longinusbozzetto und -marmor, ließ Bernini in den Jahren der Chigikapellen die Durch-
15 M. Fransolet: Bull, de l’Institut historique beige de Rome. 13. Bd. 1933, 227 ff.; ders.: Frangois Duquesnoy. Bruxelles 1942,
112ff.
16 St. Fraschetti: Bernini, 69ff.; Urkunden bei O. Pollak: Die Kunsttätigkeit unter Urban VIII., 2. Bd.: Peterskirche. Wien
1931, 454ff., Nr. 1770—1796; zuletzt R. Wittkower: a. a. O., 192f. Bemerkenswert, daß Lodovico Totti in seinem Rom 1638
erschienenen „Ritratto di Roma moderna“, 10ff., über alle vier Nischenstatuen spricht, als ständen sie schon an Ort und Stelle.
17 Für die Datierungen jetzt maßgebend R. Wittkower: Bernini. London 1955.
18 Darüber berichtet auf Grund von Torrigio, F. M.: J sacri trofei romani (1639) Chattard, G. P.: Nuova descrizione del Vati-
cano o sia di S. Pietro. Roma 1762, 136ff., 182ff., 195ff., 206ff.; Totti, L.: Ritratto . . ., 530, spricht nur von einem Austausch,
der den Longinus und den Andreas betroffen habe.
19 G. P. Bellori: Le Vite. Ed. sec. Roma 1728, 163f., u. G. B. Passeri: Vite. Roma 1772, 89ff., sowie in der komm. Ausgabe
von J. Hess (Leipzig-Wien 1934), 108-111.
 
Annotationen