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Bibliotheca Hertziana [Editor]; Bruhns, Leo [Honoree]; Wolff Metternich, Franz [Honoree]; Schudt, Ludwig [Honoree]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0375

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Berninis Hl. Longinus

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arbeitung des Daniel (Rom) sowie des Hieronymus und der Magdalena (Siena) auch für den Blickwinkel
von der Eingangstür her folgen, und das Hauptbeispiel einer so auf den ersten Anblick berechneten
Fernwirkung könnte der im Langhaus von S. Maria della Vittoria sich Nähernde an der Hl. Theresa in
ihrem Kapellenschrein vorfinden. Diese Beobachtungen geben uns im Verein mit den stilistischen Datie-
rungshinweisen das Recht, den Bozzetto noch als einen Entwurf für die Andreasnische anzusprechen und
vor der Neuordnung der vier Statuen (1633) entstanden zu denken. Ging der Künstler demnach schon
in dieser ersten Phase auf die Standortbedingungen ein, so ist doch sein Marmorwerk in der Entschieden-
heit und Folgerichtigkeit der optischen Berechnungen über den Bozzetto hinausgewachsen19'1. Denn diese
abschließende Gestaltung hat auch erst das Licht aus der Peterskuppel ganz nachdrücklich ins Spiel
treten lassen. Sehen wir doch das Faltenwerk neu geordnet, so daß die Beleuchtung von oben her nicht
mehr wie am Bozzetto entlang und kaum unterbrochen hinabgleitet, sondern auf höhere, quer ver-
laufende Verwerfungen auftrifft, unter denen sich scharf akzentuierende Schatten einnisten-ein Gegen-
spiel, das auch die gewundenen Säulen des Bronzetabernakels und der Ädikulen über den Kuppelpfeiler-
nischen wechselweise belebt. Subtil durchgeprägt gewinnt das Rilievo des Longinusmantels höchste
Bestimmtheit und eine erstaunliche, nirgends nachlassende optische Wirksamkeit, die der Signifikanz
der Silhouette gleichkommt. Kontrastierend dehnt sich nun auf der Brust, wie auf der schattenlos
geöffneten Hand, ein ungeteiltes Lichtfeld aus, seinerseits wieder Sockel für den aufgewühlten Kopf.
Allein die Figur selbst nahm vom Bozzetto zum Marmor eine veränderte Wesensart an. Es ging nicht nur
um eine Steigerung zum Mächtigeren und breit Gewichtigen. Der gesamte Habitus erneuerte sich:
die in den Raum gleichsam verströmende Bewegung (Bozzetto) sehen wir in Verhaltenheit zurück-
gedämmt, die pendelnde Schwingung begradigt, die Haltung starck aufgerichtet20. Geht vollends im
Bozzetto der Kopf und seine Wendung aus der Durchschwungenheit der Gesamtfigur hervor und läßt
diese ausklingen, im Marmor durchbricht seine Drehung als einzige Gegenrichtung die starrere Frontali-
tät des Körpers; die strenge Symmetrie der rechtwinkeligen Halsumrandung über dem Geviert der
Brust verstärkt den Eindruck, der Kopf sei jählings herumgeworfen, und seine Vergrößerung, auch durch
üppigeres, flammendes Gelock, erhebt ihn zum Ausdruckszentrum. Bestimmend tritt der Wandel von
labiler Ponderation21 zu angespanntem Stillestehen hervor; der Körper ist stammhafter zusammen-
gezogen, und die Arme fahren isolierter und mit geschärfter Erstreckung heraus. Durch solche Umdeutung
der Ponderation werden neue innerliche Regungen fühlbar. Longinus weicht nicht mehr aus, mit durch-
gedrückten Knieen steil aufgerichtet hält er stand, wie gebannt, betroffen und erschreckt. Was im
Bozzetto (Abb. 262) an Übergang und gleitendes Körperspiel erinnern konnte, ist in Anhalten verändert-
selbst der Helm, der zuerst rollte, liegt schließlich fest. Um so heftigerer innerlicher Drang steigt in
ihm auf. Erst im Marmor (Abb. 260) wirft er sich in die Brust, so daß sie aufwallend gegen den beengenden
Mantelwulst andrängt; gestrafft schiebt sich die gerade Bahn als ein verbindendes Zwischenglied
zwischen beide Arme; nicht zuletzt diese durchgehende Strömung bringt in die Ausbreitung der Arme
den hinreißenden Zug. Und während im Bozzetto der Mantel in seitliche Schwingung versetzt wurde,
gleitet er infolge des Hochdrangs der Marmorfigur von der Schulter hinab; vor seinem blitzartigen
Absturz - dessen zuckender Verlauf, in Berninis früherem Formenvorrat beispiellos, eine Spur von
Guido Reni und einem Werk wie seinem Hl. Michael verraten mag22 - reckt sich der Centurion in durch-
gehender Hochspannung umso ragender auf. So hält also Bernini im Werdegang seiner Schöpfung die
kühne, außergewöhnliche Gebärde in ihrer anfänglichen Durchführung noch der Konvention nahe, doch
überwindet er diese in ganz persönlicher Fortbildung durch eine bezwingende Ausdrucksgewalt23.
19a Dem Longinus analog sind Papststatue und Tugenden am Grabmal Urbans VIII. für die Ansicht aus der Richtung des
Kuppelraums herausgedreht. Eine Verwandtschaft, wenn nicht ein Zusammenhang mit Caravaggios Vorfahren bei seinen
Petrus- und Paulusmartyrien in S. Maria del Popolo (L. Steinberg: Observations in the Cerasi Chapel. The Art Bull. 41, 1959,
183ff.) ist unverkennbar. 20 Einigermaßen analoge Unterschiede hat kürzlich in der Antike H. Kähler: Wesens-
züge der Römischen Kunst (Saarbrücken 1958) beim Vergleich zwischen griechischer und römischer Kunstweise hervorgehoben.
21 Im Hinblick auf sie rechtfertigt sich Wittkowers Urteil über den Bozzetto (a. a. O., 193): ,,calm and classical“. Daß Unter-
scheidung von Stand- und Spielbein in der Marmorfigur sich kaum ausprägt, hat A. Riegl (Baldinucci, a. a. O„ 95) bemerkt.
22 1630-1635, Rom, S. Maria della Concezione; Mostra di Guido Reni. Bologna 1954, 105, Nr. 43.
23 Diese Entwicklung der Konzeption ähnelt dem Werdegang des „Moro“ und des „Daniel“ nach der Beleuchtung von Brauer-
Wittkower: Die Zeichnungen des G. L. Bernini, S. 50ff. und 57f.
 
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