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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0376

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Hans Kaufimann

An der HI .Margaretha von Annibale Carracci (S. Caterina dei Funari) rühmte Bellori den Aufblick zum Licht;
nicht nur von Malern sei diese neue Erfindung mit Staunen aufgenommen worden24. Vom Licht aus der
Höhe getroffen zu werden und ins Licht hinaufzuschauen, gehörte für Bernini von früh an und bis zum
Konstantin zur religiösen Emphase seiner Heiligen; freilich bezieht auch die Veritas aus der Verklärung
ihres Antlitzes ein ihr Wesen charakterisierendes Merkmal. Über Longinus kommt das Licht wie eine
Erleuchtung und gibt seinem Affekt die Tiefe eines Offenbarungserlebnisses25. Himmlisches berührt ihn,
und indem er seiner inne wird, nimmt das Licht sakralen Charakter an. In der Erfahrung eines Menschen
spiegelt sich Transzendentes.
Das mehr passivische als aktive Wesen des Longinus hat seine Stelle in der das ganze 17. Jahrhundert
bewegenden Erweiterung des Darstellungsvermögens durch Sichtbarmachung von Erlebnisgehalten,
die älterer Plastik noch verschlossen waren. Indem sich die Figur öffnet und expansiv nach außen kehrt,
ist sie einer Sendung von außerhalb gewärtig. Am Abglanz wird Jenseitiges ersichtlich, seine Nähe wie
seine Distanz spürbar gemacht. Mit dem Longinus begründete Bernini einen neuen Typus der Monumen-
talstatue.
Mehr nach Art eines Holz- als eines Steinbildwerkes setzt sich das riesige Standbild aus fünf Stücken
zusammen. Was uns auch eine vollständigere Übersicht über das Gefüge größerer Marmorfiguren des
Manierismus und beginnenden Barock künftig noch wird lehren mögen, vom ausstrahlenden Gestus
des Longinus sehen wir die Blockgerechtigkeit durchbrochen. Je radikaler ein Gebilde den Werkstoff
und seine Bedingtheiten überwindet und vergessen läßt, um so höher war schon in den Augen von
Alberti und wieder von Galilei die Kunstleistung zu bewerten26. Bildwerke des 16. Jahrhunderts erschei-
nen im allgemeinen durch den Block präformiert, der wie ein Hüllraum die vollendete Gestalt umfängt.
Er begrenzt den Radius ihrer Bewegungen, schränkt diese - kurz gesagt - auf rotierende und deren
Variationen ein: am Rumpf entlang oder rundum (peripherisch oder tangential). So gebändigt leben sich
die gelenkigen und flexiblen Körper kontrapostisch aus; ihr Bewegungsmotiv zerlegt sich in einen ganzen
Zyklus sich verkettender Einzelbewegungen. Einer Wendung antwortet eine Gegenwendung, die Glieder
zeigen sich gegeneinander verstellt in Richtung, Winkelung und Ansicht. Ein Reichmachen durch glied-
weise Differenzierung dermaßen, daß sich beim Anblick von verschiedenen Seiten die wechselreichen
Konstellationen noch vervielfachen. Die Erfindung steht unter dem Zeichen der Varietä. Im Longinus
hat sich Bernini von einer kubischen oder spindelförmigen Umhegung ebenso wie von dem Postulat
der Varietä freigemacht. Eine einzige Aktion setzt sich durch und erschöpft sich in einer Ansicht.
Wieweit er auf diesem Weg selbst noch bei der Ausformung des Marmors vordrang, läßt ein Rückblick
auf den Bozzetto ermessen: weniger Motive, weniger Differenzierungen. Der Mann rafft sich zusammen:
Unter- und Oberkörper sind nahezu in eine Richtung gebracht, und mit dem Gewand verwächst der
Körper zu einer verschmolzenen Einheit, in der sich der Gliederbau schwächer artikuliert. Trotz aller
Verschiedenheiten der Themen und Lösungen ist doch der Meister der ,,Daphne“ und ihres geglätteten,
dem aufwachsenden Baumstamm sich einschmiegenden Kontraposts wiederzuerkennen. Womöglich
noch kühner verleugnen auch schon im Bozzetto die asketisch mageren Arme die Varietä: der linke wie
der rechte fast unterschiedslos ausgestreckt und beide in einer Bahn und Sehebene unverkürzt über-
schaubar. Lauter ganze Größen nahezu unflektiert - bis auf das feine Crescendo von leichter Beuge
(links) zu gerader Streckung (rechts) mit der Steigerung in die Höhe, abgesehen auch von dem Gegen-
spiel zwischen offener und umschließender Hand -, dabei ohne merkliche Verschiedenheiten der Lage und
der Ansicht. In „Aeneas und Anchises“ hatte Bernini zum erstenmal eine Steilgruppe oder einen Figuren-
turm aus der Tradition des 16. Jahrhunderts (Giovanni Bologna und Nachfolger) ohne Torsionen und
Umschwung der Körperbilder erstehen lassen, einseitig hingeordnet auf Frontalität und Spiegelbild-
lichkeit der Partner; bei ,,Pluto und Proserpina“ griff er auf parallele Posen von links und von rechts
her zurück. In den Dreißiger jähren bietet der Triton auf der Muschel des Barberinibrunnens gerade
im Gegensatz zu den Körperverschiebungen seiner manieristischen Vorgänger ein erstaunliches Beispiel
bilateraler Symmetrie bei kontrastloser Betätigung seines Arme- und Händepaars - im Zusammenklang
24 Wir würden freilich Älteres nicht übergehen, beispielsweise Parmigianinos Hl. Rochus von 1527 in S. Petronio-Bologna; zuletzt
De Triomf van het Manierisme, Amsterdam 1955, Nr. 89.
25 „Illuminatio“ heißt es im Text des Speculum hum. salv. (Lutz-Perdrizet, Cap. XXX und S. 222).
26 E. Panofsky : Galileo as a Critic of the Arts. Den Haag 1954.
 
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