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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0382

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378

Harald Keller

solcher Säulen vor einen Vierungspfeiler zu setzen (Uffizien 20) - was schon kühn genug wäre sondern
er schreitet dann gar von acht solcher tragenden Kolossalsäulen in den Diagonalrichtungen der Vierung
zu einem vollen Säulenkranz von sechzehn Stützen vor, wobei die vier Kreuzarme der Peterskirche durch
frei in den Raum gesetzte Säulen verstellt worden wären (Uffizien 7945 recto und verso). Diese Lösung
blieb schon aus rein praktischen Gründen für den Bauherrn unannehmbar, da dem Pilgerstrom, der zum
Apostelgrab zog, hier keine Hindernisse in den Weg gestellt werden durften. Die Gedanken Bramantes
sind von Peruzzis Entwürfen für St. Peter weiter entwickelt worden10. Ein solcher Zentralraum ohne
alle Annexe (wie Kreuzarme, Kapellen, Umgang usw.) ist einmal ausgeführt worden in der umbrischen
Wallfahrtskirche der Madonna della Reggia in Umbertide (1559 begonnen), einem Raum, der sicher noch
von den Baugedanken von St. Peter lebt11.
Viel bedeutsamer für die abendländische Architekturgeschichte war es indessen, daß Michelangelo in
seinem endgültigen Entwurf für S. Giovanni dei Fiorentini in Rom diese auf das Pantheon zurück-
greifende Form der Vierung wählte12. Wurde der Bau auch nicht nach den Plänen Michelangelos aus-
geführt, so ist des Divino Entwurf doch durch ein großes Baumodell aus Ton, das durch ein Gerippe aus
Holz und Draht versteift war, und durch die Stiche Valerian Regnards13 auf die Nachwelt gekommen.
Das Modell Michelangelos, das bis 1720 in der römischen Guiden-Literatur nachgewiesen werden kann,
macht mit dem Anschluß an das Pantheon schon in den Verhältnissen ernst. Es hat das Breit-Gelagerte
eines antiken Baues, wenn auch die klassischen Proportionen des Pantheon (Höhe: Durchmesser des
Raums — 1:1) nicht ganz erreicht sind und dem reifen Cinquecento der Tribut gezollt wird, indem die
Höhe etwas überwiegt. Um im Innenbau das Lastende und Gelagerte aber recht anschaulich werden
zu lassen, hat Michelangelo auf die Kolossalordnung verzichtet und zwei Geschosse von Ordnungen
vor dem Raumzylinder übereinander aufgebaut, von denen das obere wesentlich niedriger als das untere
ist. Freilich hatte das Pantheon selbst ja den Raum überhaupt nicht durch vor den Zylinder gestellte
Säulenordnungen gegliedert, es hatte den Charakter des aus dem Mutterschoß der Erde ans Licht
gestiegenen Höhlenbaus nicht abgestreift, der konkave Charakter des Raummantels bleibt gewahrt14.
Aber niemand kann über seinen Schatten springen, und auch ein Michelangelo wollte nicht darauf
verzichten, einen Sakralraum mit Säulen- oder Pilasterordnungen auszustatten, wie es seit Brunellesco
üblich war. Wohl aber durfte sich dies ein Profanravtm um die Mitte des 16. Jahrhunderts erlauben,
und so erreicht denn der Mittelraum von Palladios Villa Rotonda vor Vicenza, ein durch zwei Geschosse
gehender, durch eine Kuppel gekrönter Zylinder über kreisförmigem Grundriß, von Säulen ungegliedert15,
die größte Nähe zur Behandlung der inneren Raumschale des Pantheon. Die Franzosen, Klassizisten von
Haus aus, haben beim Aufgreifen des zentralen Kuppelbaus in Gestalt eines Zylinders im Sakralbau
sich auf hauchdünne Pilaster beschränkt, wie Philibert de l’Orme in der Schloßkapelle von Anet (1549 bis
1552)16. Die Anregung mag hier nicht aus Rom kommen, sondern auf einen oberitalienischen Bau zurück-
gehen, auf Sanmichelis Cappella Pellegrini bei S. Bernardino in Verona (vor 1538 begonnen)17.
Der Raumgedanke ist also auch nach dem Ende der Hochrenaissance wach geblieben, und er bleibt
nicht auf Rom beschränkt, wie die umbrischen, oberitalienischen und französischen Beispiele beweisen.
Gleichwohl kann kaum Zweifel darüber auf kommen, von wem Pietro da Cortona diesen um 1630 gar
nicht mehr diskutierten Baugedanken übernahm.
10 H. von Geymüller, Taf. 6, Fig. 2 u. 3. — D. Frey, Bramantes St. Peter-Entwurf, Abb. 7, 16, 18, Taf. IV u. V.
11 P. Laspeyres, Kirchen der Renaissance in Mittelitalien, Berlin 1882, p. 35 u. Taf. LV.
12 D. Frey, Michelangelo-Studien, Wien 1920, p. 55ff. Versuchte der Verf. das Modell als eine Arbeit des Giacomo della Porta
aus dem Jahre 1600 darzutun, so hat E. Panofsky unmittelbar darauf in Wasmuths Monatsheften für Baukunst V, 1920/21,
p. 35, mit guten Gründen das Modell dem Michelangelo zurückgegeben.
13 Giov. Jac. de Rossi, Insignium Romae Templorum Prospectus, Rom 1684, Taf. 48-49.
14 G. von Kaschnitz-Weinberg, Die mittelmeerischen Grundlagen der antiken Kunst, Frankfurt a. M., 1944, p. 51 ff.
15 Andrea Palladio, I quattro libri dell’architettura. Venezia 1570, libro secondo, p. 19. Weitere Beispiele: Villa Trissini in Meledo
im Vicentinischen, ebenda, libro secondo, p. 60, u. a.
16 A. Blttnt, Philibert de l’Orme, London 1958, p. 28ff., bes. p. 39 und Taf. 18ff. Mit Trauer gedenke ich der Gespräche, die ich
vor mehr als 20 Jahren, bei der Zusammenstellung des ,,Stammbaumes“ der Münchner Zeichnung, mit meinem Schüler und
Freunde Günther Neumann, dem Assistenten der Bibliotheca Hertziana, geführt habe, der dann 1941 auf Kreta fiel. Ich erinnere
mich genau, den Hinweis auf Anet seiner erstaunlichen Kenntnis der Baudenkmäler und der Handzeichnungen der Renaissance
und des Barock zu verdanken. 17 E. Langenskiöld, Michele Sanmicheli, Uppsala 1938, p. 110.
 
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