Bibliotheca Hertziana [Editor]; Bruhns, Leo [Honoree]; Wolff Metternich, Franz [Honoree]; Schudt, Ludwig [Honoree]: Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, München: Schroll, 1961)

Guarini

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299. S. Sindone, Turin (aus Archit. Civile)


300. S. Filippo Neri, Casale (aus Archit. Civile)

Die mit optischen Mitteln bewirkte Wandvertiefung, wie sie auf verschiedene Weise in den beiden Turiner
Kirchen die Sockelzone zu erweitern strebt, ersetzt hier den Raummantel, mit dem der Meister sonst, wo
er freie Hand hat, seine Haupträume in einer dem mittelalterlichen Schichtbau vergleichbaren Anordnung
umkleidet. Die ausgereiften Entwürfe zur Somaskerkirche in Messina21 und zu S. Filippo Neri in Turin22,
die wie die Abwandlung des gleichen Theorems einmal zum Zentralbau, das andere Mal zum Langbau
wirken, bieten das vollendete Beispiel einer durchlichteten Baustruktur, in der das gotische Erbe mit
dem klassischen auf originale Weise verschmolzen ist. In dem Kapellenkranz der Somaskerkirche ist
zugleich mit Brunelleschis S. Maria degli Angeli der Chorumgang der französischen Kathedrale
gegenwärtig.
Nur ein seiner Sache sehr sicherer Bautechniker durfte eine so weitgehende Auflösung der tragenden
Teile wagen, die beinahe den Skelettbau unserer Tage vorausnimmt. In der Tat unterblieb dergleichen,
wo der Meister nicht selbst Hand anlegte, oder führte, wie am Weiterbau von S. Filippo Neri nach einem
zweiten Entwurf, zum Einsturz23.
Guarinis Zusammenschau der römischen Baukunst seiner eigenen Zeit mit Elementen der Bauweise
des Mittelalters zeugt von einem wachen historischen Sinn. Sie übertrifft an klarer Erkenntnis des
21 AC, Taf. ohne Nr.
22 AC, Taf. 14-15.
23 G. Chevalley, Vicende costruttive della chiesa di S. Filippo Neri in Torino, Boll. Stor.-bibliogr. Subalp. XLIV, 1942, Nr. 1-4,