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Bibliotheca Hertziana [Editor]; Bruhns, Leo [Honoree]; Wolff Metternich, Franz [Honoree]; Schudt, Ludwig [Honoree]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0429

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Guarini

425


303. S. Sindone, Turin, Kuppel von innen

304. S. Lorenzo, Turin, Kuppel von innen

heit auf sich selbst. In der Vielansichtigkeit der Skulptur, im Spiel der Malerei mit der ästhetischen Grenze
wird sein bisher als gegeben hingenommenes Verhältnis zum außerkünstlerischen Dasein ein Gegen-
stand der Reflexion. Auch der Raum, noch der Renaissance eine darzustellende Gegenständlichkeit,
wird zur Funktion der Form. So erzeugt die manieristische Architektur25 ihren Raum als Eigenraum in
den Grenzen des seinem Umraum „verfremdeten“ Gebildes, sei dieses ein Gebäude, ein Gartenbezirk oder
ein Stadtbereich. Ein Netz von Achsen ruft eine nie ans Ziel gelangende Bewegung hervor; die endlose
Spirale ist eine Leitform des Stils; verschachtelte Unterteilungen, mehrdeutige Zusammenhänge, die
Identität des Objekts relativierende Wiederholungen bringen die Vorstellung eines Raumsystems zugleich
mit der Empfindung labyrinthischer Ortlosigkeit hervor. Der formeigene Raum bleibt in der Schwebe
einer sich selbst bestätigenden wie auf hebenden Existenz; das Sein ist nirgendwo unzweifelhaft erfahrbar,
es sei denn an seiner geistigen, formalen Setzung. Und dennoch ist in dieser ambivalenten Künstlichkeit
Raum als Form, frei von vorkünstlerischer Gegebenheit, zum erstenmal behauptet und damit der künst-
lerischen Durchordnung weiter, zunächst allerdings stets eingegrenzter Bezirke die Bahn gebrochen.
Das von dieser Architektur bezeugte Verhältnis zur Natur der Dinge ist komplex, unnaiv, verschlüsselt.
Wir wollen es versuchsweise „hermetisch“ nennen.
Guarinis Idee des autonomen Innenraums, der als flexibles, aus Einheiten kombinierbares, lichthaltiges
Medium selbsttätig Form bildet, setzt die Thematisierung der Raumqualität des Kunstwerks durch die
Reflexion des Manierismus voraus. Diese bildet also die dritte konstitutive Komponente seines Stils.
Aber in seiner Kernformel der zellenartigen Raumeinheit konkretisiert sich das von der Gotik nur
erahnte, von der Renaissance mittels der Perspektive statisch, dann vom Manierismus als Bewegungs-
funktion dialektisch formulierte Postulat des Raumes als Form zu einer positiven und zugleich dynami-
schen Gegebenheit. Damit ist der Architektur als Raumkunst ein Weg eröffnet, der über das 18. Jahrhun-
dert hinaus bis in die Gegenwart führt. Es ist die Denkleistung eines Künstlers, der zugleich Philosoph
und Mathematiker war.
Aber Guarinis Sprache behält einen hermetischen Zug. Sein Schaffen rechnet nicht mit einer schlechthin
gegebenen Wirklichkeit. Wie er sich in diesem Punkt von der damals im römischen Barock vorherr-
schenden Richtung unterscheidet, lehrt eine von Chantelou26 aufgezeichnete Begebenheit.
25 N. Pevsner, The architecture of Mannerism. The Mint, A Miscellany of Lit., Art & Criticism, 1946. — W. Hager, Zur Raum-
struktur des Manierismus in der ital. Architektur. Festschrift für M. Wackernagel, 1958.
26 L. Lalanne, Journal du voyage du Cav. Bernin en France, par M. de Chantelou, 1885, S. 33: ,,I1 leur dit encore qu’il serait
 
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